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»Die Geschichte der Anatomie«: Eine Begegnung von Wissenschaft und Kunst

Colin Salter präsentiert eine Sammlung der wichtigsten anatomischen Lehrbücher und erzählt so zugleich Medizin- und Kunstgeschichte.

Seit Jahrtausenden fragt sich der Mensch, was ihn bewegt, welche Kräfte und Säfte in ihm wirken und woraus sein Körper aufgebaut ist. Aus den Antworten auf diese essenziellen Fragen ist die Anatomie entstanden, die medizinische Wissenschaft vom Bauplan der Organismen, insbesondere dem des Menschen. Sie zerlegt – gedanklich und real – den Körper, um das Zusammenspiel der einzelnen Organe, Muskeln und Knochen zu verstehen.

In der langen Forschungstradition der Anatomie gab es immer wieder auch geschichtliche Darstellungen der Disziplin. Colin Salter geht einen unkonventionellen Weg, indem er sich auf die Lehrbücher des Fachs konzentriert und in kurzen Artikeln Inhalt, Verfasser und Kontext des jeweiligen Werks vorstellt. Besonders bemerkenswert sind dabei die zahlreichen Abbildungen: Gemälde, Zeichnungen und Illustrationen, die den Leser die Entwicklung des Faches miterleben lassen – darunter Werke von Raffael oder Rembrandt und Abbildungen aus Veröffentlichungen von Charles Darwin und Henry Gray, dem Autor des Klassikers »Gray´s Anatomy«.

Immer wieder verknüpft Salter die Geschichte der Anatomie mit der Entwicklung anderer Wissenschaften und der Kunst – denn die Erforschung des menschlichen Körpers prägte auch deren Entwicklung, und mehr als einmal befruchteten die Disziplinen einander. Indem es diese Verflechtungen aufnimmt, wirkt Salters Buch wie eine Mischung aus Lexikon und Bildband. Salter beleuchtet auch, wie lange sich einzelne Dogmen – etwa die galenische Säftelehre – halten konnten und welche Erkenntnisse sie schließlich widerlegten.

Europa im Zentrum

Der Autor unterteilt die über 5000-jährige Geschichte der Anatomie in sechs Epochen. Das zeitliche Spektrum reicht hier von der Antike im alten Ägypten bis zu den Entdeckungen der »Moderne«, dem medizingeschichtlichen Meilenstein zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als jedes makroskopisch sichtbare Teil im Körper einen Namen hatte und man zugleich dessen grundlegende Funktionen benennen konnte, so der Autor. Neben Büchern und Kunstwerken werden im Text auch maßgebliche wissenschaftliche Fortschritte der jeweiligen Epoche vorgestellt, etwa die Entdeckung des Mikroskops.

Auffällig ist, dass die vorgestellten Anatomen meist Europäer sind. In der Antike dominieren Römer, Griechen und Ägypter, im Mittelalter folgen kurze Exkurse in die islamische Welt, nach Indien und China. Danach rückt wieder Europa mit den italienischen Universitäten der Renaissance und den Künstlern dieser Zeit in den Mittelpunkt. In der Frühen Neuzeit geht der Blick in die Länder nördlich der Alpen, besonders nach Deutschland, in die Niederlande und vor allem nach England. Erst im 19. Jahrhundert blickt der Autor wieder nach Asien und dann auch nach Nordamerika. Hier wäre eine wirklich globale Sicht wünschenswert gewesen.

Insgesamt ist »Die Geschichte der Anatomie« ein spannender und anschaulicher Bildband, der sich sehr gut liest. Allerdings empfiehlt es sich nicht, das Werk »am Stück« zu lesen, da die Biografien der Anatomen sich mitunter doch sehr ähneln und sich so ein gewisser Wiederholungseffekt einstellt; besser ist es, die einzelnen Epochen für sich zu betrachten.

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