»Die Geschichte der Astronomie«: Das Universum in 115 Büchern
Was ist Geschichte ohne Bücher? Angesichts der Informationsflut im Internet könnte man meinen, die Bedeutung von Druckwerken sei heute nur noch marginal. Schließlich steht auch viel historisches Material bereits digital zur Verfügung. Das mag für schnelle Recherchen von Vorteil sein. Für mich ist es aber ein großer Unterschied, einen Klassiker in den Händen zu halten, darin zu blättern und auf Papier lesen zu können. Wer also Freude an Astronomiegeschichte und an gedruckten Büchern hat, stellt sich vielleicht die Frage: Was sind die wichtigsten Werke?
Karen Masters stellt 115 von ihnen in einem Buch vor – zugegeben, eine subjektive Auswahl. Die Autorin ist Professorin für Physik und Astronomie am Haverford College, einer privaten Institution für »Freie Künste« in Pennsylvania, USA. Auf dem Campus befindet sich das kleine Strawbridge Observatory, das hauptsächlich der studentischen Ausbildung dient, es werden dort aber auch öffentliche Beobachtungen angeboten. Die Einrichtung verfügt über eine gut ausgestattete Bibliothek (in der Einführung des Buchs findet sich eine aktuelle Aufnahme). Hier hat sich die Astrophysikerin, die hauptsächlich zu Galaxien forscht, offenbar inspirieren lassen.
Das solide gebundene, mittelformatige Buch umfasst 272 Seiten und ist sehr ansprechend gestaltet. Fast auf jeder Seite findet sich in der Regel mindestens eine historische Abbildung, meist in Farbe. Die Reproduktion ist dem Berner Haupt Verlag hervorragend gelungen, ebenso die Übersetzung des Originals (»The Astronomers' Library«). Der Käufer erhält also ein hochwertiges Buch, und auch der Inhalt ist bemerkenswert, gibt er doch anhand der ausgewählten Werke einen unkonventionellen Überblick über die Entwicklung der Astronomie »von der Antike bis heute«. Karin Masters' Idee, das Thema in dieser Form zu präsentieren, überzeugt. Den Leser erwartet eine »spannende Reise durch die Jahrhunderte«.
Wissenschaftlich fundiert, beeindruckend inszeniert
Die vorgestellten 115 Werke sind natürlich nur ein winziger Bruchteil aller jemals gedruckten Bücher oder Karten mit astronomischem Inhalt. Hier eine homogene Auswahl zu treffen, war sicher nicht einfach. Die Autorin hat das gelungene Ergebnis fachkundig in sechs Kapitel gegliedert, innerhalb derer eine grob chronologische Ordnung herrscht. Jedem Werk ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Den Anfang machen »Sternatlanten«. Man begegnet frühen chinesischen Himmelskarten, Al-Sufis »Buch der Fixsterne«, Bayers »Uranometria« oder Flamsteeds »Atlas Coelestis«. Im zweiten Kapitel geht es um »Die Kartierung anderer Welten«. Gemeint sind historische Darstellungen von Sonne, Mond, Planeten und Kometen. Neben den Klassikern von Galilei, Huygens oder Schiaparelli wird auch eher Unbekanntes geboten, wie etwa Publikationen von Richard Proctor. Es folgt ein Kapitel über »Astronomie und Kultur«. Hier befasst sich die Autorin mit Werken aus dem Goldenen Zeitalter des Islam, der Schule von Kerala, dem präkolumbianischen Mesoamerika sowie dem mittelalterlichen Europa und Ostasien.
Mit 80 Seiten ist das vierte Kapitel das umfangreichste. Das zentrale Thema in »Wie sich unser Modell des Universums entwickelte« ist der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild mit den Werken von Ptolemäus, Kopernikus, Galilei, Kepler und Newton. Abschließend wird (zu Recht) auf die Bedeutung der Mathematikerin und Astronomin Mary Somerville hingewiesen.
Nach der Pflicht folgt dann die Kür. Das fünfte Kapitel trägt den Titel »Astronomie für alle«. Darin behandelt Karen Masters »ausgewählte, oft bezaubernd illustrierte astronomische Lehrbücher – von mittelalterlichen Texten bis hin zu Werken mit frühen astronomischen Fotografien, die Anfang des 20. Jahrhunderts publiziert wurden«. Dieser Abschnitt ist eine wahre Schatztruhe – lassen Sie sich überraschen! Das letzte Kapitel »Moderne Astronomie« bietet eine Kollektion aktueller Standardwerke, jeweils mit Cover und kurzer Zusammenfassung. Wir finden etwa Hawkings »A Brief History of Time«, »Introduction to Astronomy« (Payne-Gaposchkin), »The Hubble Atlas of Galaxies« (Sandage), »The First Three Minutes« (Weinberg) oder das monumentale Werk »Gravitation« (Misner, Thorne, Wheeler).
Karen Masters' Buch ist ein wunderbarer Führer durch die Geschichte der Astronomie. Der Text ist leicht verständlich und wissenschaftlich fundiert, die grafische Gestaltung beeindruckend. Man findet immer etwas Neues, es wird nie langweilig. Wer nach der Lektüre nicht von der Astronomie begeistert ist, dem ist nicht zu helfen.
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