Direkt zum Inhalt

»Die Kunst der Bienen«: Unersetzliche Vorbilder

Als Bestäuber unzähliger Pflanzenarten sind Bienen unersetzlich. Und bei Kooperation und Innovation können wir Menschen von Bienenvölkern lernen, so Robert E. Page.

Robert E. Page gehört zu den weltweit führenden Bienenwissenschaftlern, ist Genetiker und erforscht seit Jahrzehnten das Leben von Honigbienen. Sein jüngstes Buch nimmt sich das komplexe Sozialsystem von Bienenvölkern vor. Zudem ergründet es ihre generelle Bedeutung, wobei die Evolution der Bienen im Kontext ökologischer und gesellschaftlicher Fragen im Vordergrund steht. Dem Autor ist daran gelegen, »wie Humboldt ein wissenschaftliches Buch zu schreiben, das nicht hierarchisch gegliedert ist, sondern um interessante Themen herum grundlegende wissenschaftliche Informationen vermittelt und ein Bild malt, das eine von den Kapitelüberschriften bezeichnete Sichtweise darstellt«.

So signalisieren die Überschriften stichwortartig, worum es jeweils geht – um »Umweltkünstler«, »Wie Bienen ihre lokalen Umgebungen ›bemalen‹« oder, besonders wichtig, die »Koevolution von Blütenpflanzen und Bienen«. Denn vor etwa 125 Millionen Jahren kam es zu einer explosionsartigen Vermehrung neuer Bienenarten in Koevolution mit Pflanzen, die heute – bei einem Gesamtbestand von etwa 350 000 Arten – zu 74 bis 94 Prozent auf Bestäubung durch Tiere angewiesen sind. Von den insgesamt schätzungsweise 25 000 Bienenarten wurden bis heute 16 000 beschrieben. In großer Mehrzahl bestehen sie aus solitär lebenden Tieren. Nur etwa sechs Prozent sind sozial, leben also in Völkern.

Die Honigbiene bietet ein Musterbeispiel für die gelungene Anpassung von Anatomie, Physiologie und Verhalten an Blüten. Page beschreibt – illustriert mit Fotos, Zeichnungen und Grafiken – die einzelnen Aspekte dieser wechselseitigen Beziehung. Er schildert Bienen dabei als Landschaftsgestalter und Ingenieure, die durch ihre Koexistenz mit Blütenpflanzen maßgeblich zur bunten Blütenvielfalt und damit zur Gestaltung unserer Umwelt beitragen.

Dabei benennt er auch die wichtigsten Probleme für Wildbienen und insbesondere das »Honigbienensterben« in der modernen Imkerei. Zahlreiche Krankheiten (Bakterien, Pilze, Viren) und Parasiten (hauptsächlich Milben, vor allem die Varroamilbe) gefährden den Bienenbestand weltweit. Die ihnen angeborene individuelle und soziale Immunität reicht häufig nicht mehr aus, um all die Krankheiten und Parasiten abzuwehren – der Mensch muss helfend eingreifen.

Der »Superorganismus« als Inspiration

In »Der Gesellschaftsvertrag«, »Der Superorganismus« und »Fortpflanzungskonkurrenz« betrachtet Page Insektengesellschaften durch die Brille der politischen Philosophie beziehungsweise Soziobiologie. Er analysiert das soziale Verhalten von Bienenvölkern mit Hilfe der Metapher vom »Superorganismus«. So beschreibt der Autor die Entstehung von Altruismus im Kontext eines »Gesellschaftsvertrags« der Bienen, den die Sozialgeschichte in die genetische Ausstattung von Populationen und ihrer jeweiligen Individuen einschreibe. Dieser »Vertrag« sei das Produkt einer langen Evolution und mache, so Page, Bienen zum Vorbild für Arbeitsteilung und soziale Intelligenz auch für uns Menschen.

Das Kapitel »Wie ein Superorganismus entsteht« zeigt, wie aus einer Ansammlung einzelner Bienen ein Volk wird, das wie EIN Organismus funktioniert. Insbesondere die innerhalb der Bienenarten sozial so fortgeschrittenen Honigbienen haben über Millionen von Jahren eine differenzierte Arbeitsteilung, ein komplexes Sozialverhalten sowie das besondere Paarungsverhalten ihrer Königinnen entwickelt. In diesem Kontext kommt auch die eigene Forschung des Autors ins Spiel. So skizziert Page die von Menschen unterstützte Selektion der Honigbienen als Analogon zum natürlichen Selektionsprozess. Außerdem untersucht er, wo der Begriff »Superorganismus« fruchtbar wird, wo er versagt und welche Optionen zur Weiterentwicklung des mit ihm verbundenen Konzepts bestehen.

»Die Kunst der Bienen« beleuchtet inhaltlich anspruchsvoll die Evolution der Bienen und ihre Bedeutung für die Umwelt – und damit auch für uns Menschen. Die Beschreibung des Bienenstaats als »Superorganismus«, in dem das Handeln der einzelnen Tiere im Hinblick auf den Nutzen für das Kollektiv optimiert wurde, bietet interessante Ansatzpunkte auch für die Reflexion menschlichen Zusammenlebens. Gleichzeitig betont der Autor die Grenzen dieser Metapher: Sie könne wissenschaftlich sinnvoll nur auf bestimmte Aspekte des Verhaltens von Bienen angewendet werden, nämlich in Bezug auf Arbeitsteilung, Informationsaustausch und Sozialverhalten.

Robert E. Page liefert einen inspirierenden Blick auf das Bienenvolk als Modellorganismus für gelingende Kooperation und Innovation. Gleichzeitig verdeutlicht er, dass Bienen als Bestäuber für eine riesige Bandbreite von Blütenpflanzen und somit für Biodiversität und landschaftliche Vielfalt vor allem eines sind: unersetzlich.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Invasive Arten auf den Teller!

Gehirn&Geist – Verbrechen: Die Psychologie des Bösen

Warum faszinieren wahre Verbrechen? True Crime ist ein Spiegel unserer psychologischen Neugier: Was macht Menschen zu Tätern – und wie gelingt es Ermittlern, die Wahrheit ans Licht zu bringen? In dieser Ausgabe geht es um die Kräfte, die Menschen in den Abgrund treiben oder zurückholen. Wir zeigen, warum Rache selten Frieden bringt, wie gefährliche Häftlinge in Sicherungsverwahrung leben, was das Stockholm-Syndrom über Überlebensstrategien verrät und mehr.

Spektrum - Die Woche – Von der Entropie zur Quantengravitation

Die Verbindung von Schwerkraft und Quanten ist ein zentrales Rätsel der Physik. Die Informationstheorie liefert Antworten – und vielleicht den Schlüssel zur Quantengravitation. Außerdem: Eine Revolution des Bauens? Carbonbeton benötigt im Vergleich zu Stahlbeton nur einen Bruchteil des Materials.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.