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»Die letzten Rätsel des Universums«: Eine vertane Chance

Dunkle Materie, Dunkle Energie, Schwarze Löcher – faszinierende wissenschaftliche Themen, die Niklas Kolorz aber nur oberflächlich behandelt.

Wie der Titel dieses Buchs schon erkennen lässt, erhebt es einen umfassenden Anspruch. Es verspricht Aufklärung des scheinbar Paradoxen (das »Unerklärliche« werde erklärt), und es kündigt an, sich den »letzten Rätseln« zuzuwenden. Es gliedert sich in drei Teile, die sich dem Kosmos, dem Leben und der Zukunft widmen. Die Teile 1 und 2 haben jeweils vier, der Teil 3 hat zwei Kapitel. Genau in mein Fachgebiet fällt Teil 1; die Teile 2 und 3 enthalten Abschnitte, die es berühren. Deswegen werde ich mich besonders mit dem ersten Teil befassen.

In ihm geht es also um den Kosmos. Die vier Kapitel behandeln das Ende des Universums, die Dunkle Materie, die Dunkle Energie und Schwarze Löcher. Das aktuelle Weltmodell wird vorgestellt, das Vorhersagen zur weiteren Entwicklung des Universums erlaubt (und erlauben muss, denn anderenfalls taugte es nicht als physikalische Theorie). Hinweise auf Dunkle Materie und mögliche Erklärungen dafür werden besprochen, die Dunkle Energie wird anhand ihrer messbaren Auswirkungen eingeführt, und schließlich betreten Schwarze Löcher die Bühne. In diesem Teil des Buchs werden diejenigen Figuren der Kosmologie versammelt, die sicherlich die meiste Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versprechen. Aber werfen sie »letzte Rätsel« auf? Wir könnten das nur beurteilen, wenn wir sie schon gelöst hätten. Eine der Überschriften aus dem dritten Kapitel widerspricht dem Buchtitel auch auf nette Weise, denn es stellt entgegen der Formulierung der »letzten Rätsel« fest: »Je mehr wir forschen, desto weniger wissen wir«.

Eine »Eselei«, die keine ist

Gehen wir ins Detail, denn daran entscheidet sich die Qualität eines Buchs. In Teil 1, Kapitel 1, wird anhand des WMAP-Satelliten erklärt, wie die Parameter des kosmologischen Standardmodells gemessen wurden (S. 30 ff.). Der jüngere Planck-Satellit mit seinen erheblich genaueren Ergebnissen wird dagegen gar nicht erwähnt. Über den äußeren Lagrange-Punkt L2 liest man (S. 30), dass man sich dort in Ruhe aufhalten könne. Dass er ein instabiler Lagrange-Punkt ist, in dessen Nähe sich die dort untergebrachten Satelliten nur auf komplizierten Umlaufbahnen halten können, wird übergangen. Stattdessen erhält man den Hinweis, die Teleskope müssten sich dort den Rücken gut gegen die Sonne eincremen (S. 31).

Im zweiten Kapitel, das sich mit Dunkler Materie befasst, wird die MOND-Theorie (»Modified Newtonian Dynamics«) als mögliche Deutung ausführlich besprochen (S. 61 ff.). Dabei wird aber nicht erwähnt, wie schwierig es für diese Theorie ist, die ebenfalls ausführlich vorgestellten Beobachtungen am Galaxienhaufen 1E 0657-56 (auch als »Bullet Cluster« bekannt) zu beschreiben (S. 51 ff.). Zur Dunklen Energie wird im dritten Kapitel die Einstein regelmäßig in den Mund gelegte, aber nicht belegbare Phrase von der »größten Eselei« wiederholt (S. 68), an entscheidender Stelle (S. 80) aber verschwiegen, dass wir seit mehr als 50 Jahren wissen, dass diese »Eselei« eine Notwendigkeit ist. Früh im Kapitel über Schwarze Löcher werden Einsteins Feldgleichungen als »derart komplex und verworren« bezeichnet, dass Einstein sie selbst nicht habe lösen können (S. 93). Der zweite Teil dieser Aussage ist schlicht falsch, und ihr erster Teil übergeht die Tatsache, dass die allgemeine Relativitätstheorie in einem streng objektivierbaren Sinn die einfachste mögliche geometrische Gravitationstheorie ist. Stattdessen wird das unbegründete Vorurteil von der unverständlichen Theorie wiederholt.

Die kosmologische Konstante, vorher wie üblich mit »Λ« bezeichnet, bekommt (S. 94) ohne weitere Erklärung das Symbol »ƛ« der Compton-Wellenlänge. In einer Bildunterschrift (S. 99) wird behauptet, dass ein Neutronenstern seinen Begleiter »aussauge«, während sich doch der Begleiter über seine Roche-Grenze hinaus ausdehnt und dergestalt auf den wehrlosen Neutronenstern überfließt. Die Geschichte vom »Foto des Schwarzen Lochs« (im Zentrum der Milchstraße) wird ausführlich erzählt (S. 109 ff.); dabei wird aber nicht erwähnt, dass es sich hier streng genommen weder um ein Foto noch beim abgebildeten Objekt um dieses Schwarze Loch handelt.

Uneingelöste Versprechen

Zum zweiten und dritten Teil halte ich mich im Detail zurück und nenne stattdessen nur drei Beispiele inhaltlicher Merkwürdigkeiten. Das Kapitel »Dem Bewusstsein auf der Spur« mischt einen Abschnitt über optische Täuschungen und Rekonstruktionsleistungen des Gehirns (S. 141 ff.) mit der wilden Spekulation, wir könnten in einer Simulation leben (S. 144 ff.). Die Welt der Quanten wird im dritten Teil (»Zukunft«) als »verrückt und zufällig« bezeichnet – eine Bewertung, die im Quantenjahr 2025 zum hundertsten Jubiläum der Quantenmechanik wie aus ferner Zeit gefallen anmutet. Und schließlich wird, im zehnten und letzten Kapitel, unter der Überschrift »Mit dem Warp-Drive durch die Zeit reisen« erzählt, wie Hafele und Keating 1971 die speziell-relativistische Zeitdilatation experimentell belegten (S. 281 f.); ein wissenschaftsgeschichtlich bedeutendes Experiment, das allerdings mit dem, was die Überschrift hier verspricht, herzlich wenig zu tun hat.

Es ist mir schwergefallen, dieses Buch zu lesen, und noch schwerer, es zu rezensieren. Die meisten der Aussagen, die ich beurteilen kann, sind nicht genau, treffen oft nicht den entscheidenden Punkt, sind aber irgendwie auch nicht falsch. Es plätschert in einem Ton dahin, der cool sein will, und geht nirgendwo in die Tiefe. Dabei vermischt der Autor ohne klare Unterscheidung längst Etabliertes mit hochgradig Spekulativem, wiederholt Vorurteile und bedient Klischees. Es ist, als ob das Buch seinen Leserinnen und Lesern eine Möhre unerreichbar vor die Nase hielte, indem es Erklärungen für bisher Rätselhaftes und Aufklärung zu bisher Unerklärlichem verspricht, diese Versprechen aber bis zum Ende nicht einlöst. Es bleibt an der Oberfläche – aber wer wirklich etwas wissen will, muss in die Tiefe gehen. Den Versuch, auf diese Weise die Faszination von Wissenschaft zu vermitteln, kann ich leider nur als gescheitert ansehen. Denn über das, was Wissenschaft ausmacht, plappert es hinweg.

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