»Die Lichtwandler«: Haben Pflanzen ein Bewusstsein?
Sie wolle keine Mythen in die Welt setzen, sondern ein Bild der aktuellen Forschungen zum Bewusstsein von Pflanzen zeichnen, stellt Zoë Schlanger gleich zu Anfang ihres Buchs klar. Was alles umfasst der Begriff »Bewusstsein« in diesem Kontext? Und welche Hinweise darauf lassen sich finden?
Die Umweltjournalistin zieht dabei nicht nur die einschlägige Literatur zu Rate, sie nimmt die Leser auch mit zu ihren Begegnungen mit Botanikern und Biologen, die diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven und mit Blick auf die verschiedensten Pflanzen nachgehen – von Farnen bis zu Mais. Als klarer Hinweis auf ein Bewusstsein gilt dabei die mittlerweile anerkannte Beobachtung, dass Pflanzen miteinander und sogar mit anderen Arten kommunizieren. Mit Schlanger lernt man nun Pflanzenarten kennen, die offenbar tatsächlich fühlen, hören und sich erinnern können.
Dabei gibt es bisher kaum große Forschungsprojekte zu einem möglichen aktiven Reaktionsvermögen von Pflanzen, obwohl schon Darwin ein solches vermutete. Nach langer Pause greifen seit den 1960 Jahren einzelne Forscher das Thema wieder auf. Seit einigen Jahren akzeptiert ist immerhin, dass Pflanzen aktiv Abwehrstoffe gegen Fraßfeinde absondern können. Die Beispiele, die Schlanger in diesem Zusammenhang schildert, lassen einen aber manchmal doch staunen; etwa, dass Pflanzen bei einem Befall Tannine oder ähnliche Verbindungen nicht nur im betroffenen Blatt selbst bilden, sondern auch ihre übrigen sowie die Blätter von verwandten Nachbarpflanzen auf diese Weise ebenfalls ungenießbar werden. Noch komplexer scheinen Maispflanzen reagieren zu können, wie Schlanger berichtet. So bildet Mais bei einem Befall mit bestimmten Raupen Peptide, welche die Produktion von Giftstoffen hervorrufen. Zugleich werden Duftstoffe ausgesendet, die Schlupfwespen anziehen. Diese legen dann ihre Eier in den Raupen ab und setzen diese damit dem Tod aus. Offen bleibt wie bei den meisten Beispielen die Frage, wie lange die Pflanzen jeweils solche Stoffe bilden – und warum solche Abwehrreaktionen nicht die Regel sind beziehungsweise nicht immer funktionieren.
»Zum Fühlen erwacht«
Unter dieser Überschrift geht Schlanger auf Arbeiten ein, die sich mit dem pflanzlichen Empfindungsvermögen für Berührungen beschäftigen – etwa Darwins Versuche mit Wurzeln. Dieser vermutete, ein Häutchen an der Wurzelspitze diene als Steuerzentrale und dirigiere die Wurzel rechtzeitig weg von Hindernissen. Die Forschungen zur Berührungsempfindlichkeit von Pflanzen zeigen auch, wie sich die zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden in den letzten Jahren weiterentwickelt haben; etwa, indem man heute in Pflanzen feinste elektrische Impulse oder Aktionspotenziale als Antwort auf einen Berührungsreiz messen kann. Hier, aber auch bei anderen Themen ist hilfreich, dass sich das im menschlichen Gehirn als Neurotransmitter fungierende Glutamat auch in Pflanzen nachweisen lässt.
Ein weiteres neues Forschungsgebiet, das die Autorin in Gesprächen mit Wissenschaftlern vertieft, ist die Phytoakustik, also die Reaktionen von Pflanzen auf Geräusche und Schallwellen. So gibt es Regenwaldpflanzen, die auf die Bestäubung durch eine bestimmte Fledermausart angewiesen sind. Diese bilden ihre Blüten so aus, dass sie die Schallwellen der Tiere zielgerecht reflektieren und sie so anlocken. Das könnte einfach eine erwartbare Errungenschaft der Evolution sein, denkt man als Leser. Was heißt es aber, wenn Pflanzen auf das Fraßgeräusch von Raupen reagieren, indem sie ihr chemisches Abwehrsystem aktivieren? Oder wenn Pflanzen bei der Simulation des Summens von Bienen plötzlich mehr Pollen freisetzen? Dann muss mehr dahinter stecken – eben das, was die Phytoakustik erforscht. Es wäre für die Landwirtschaft jedenfalls äußerst nützlich, wenn sie Pflanzen durch bestimmte akustische Signale eigene Pestizide bilden lassen könnte. Ein Warnsignal ist dagegen die Beobachtung, dass bei hochgezüchteten Arten und bei starker Luftverschmutzung die Fähigkeit zur »grünen« Kommunikation offenbar verlorengeht.
Besitzen Pflanzen vielleicht sogar eine Art Erinnerungsvermögen, das die Häufigkeit von äußeren Reizen registriert? Und lässt sich die gleichzeitige Blüte von gemeinsam wachsenden Goldruten und roten Astern anders erklären als durch gleiche Ansprüche an die Umgebung – vielleicht durch einen Sinn für Schönheit? Macht der entstehende Farbkontrast beide Arten auffälliger für Bienen? Die Vielfalt der Theorien, die Schlanger aufspürt, ist verblüffend. Und viele der Beispiele in ihrem Buch sind einfach faszinierend – etwa das Geheimnis der chilenischen Kletterpflanze Boquila trifoliolata. Diese ist zu einer spontanen Mimikry fähig, indem sie in Gefahrengebieten die Blattform einer fremden Nachbarpflanze imitiert und sich so unauffälliger für Fraßfeinde macht.
Verfügen Pflanzen also über mehr Möglichkeiten, als durch die angeborene Programmierung über Gene angelegt sind? Die Lektüre ermutigt zu dieser Annahme. Wissenschaftliche Meinungen haben sich schon oft geändert; erst mit Fragen der Art »Was wäre, wenn?« wurden Paradigmenwechsel möglich. Manche Formulierungen der Autorin mögen mangels wissenschaftlich etablierter Alternativen etwas gewollt klingen. Trotzdem ist Zoë Schlangers Buch sehr anregend und empfehlenswert.
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