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Glück als Wirtschaftsfaktor

Bestsellerautor Stefan Klein plädiert für ein Streben nach Wohlbefinden statt nach Wohlstand.

Unsere Gesellschaft braucht neue Ziele. So bringt es Stefan Klein, international bekannter Wissenschaftsautor und ehemaliger Redakteur des »Spiegel«, auf den Punkt. Ungewöhnlich ist diese Forderung nicht. Ungewöhnlich ist aber das ökonomische Ziel, das sich die Gesellschaft laut Klein zukünftig setzen sollte: das Streben nach Glück – Wohlbefinden statt Wohlstand.

Glück und Wohlbefinden sind keine Begriffe, die man allgemein mit Ökonomie in Zusammenhang bringt. Dabei besteht hier kein Widerspruch, wie Klein überzeugend darlegt. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war in Europa und insbesondere in Deutschland geprägt vom Wirtschaftswunder, das vielen Menschen Wohlstand brachte. In dieser Zeit entwickelte sich das Bruttoinlandsprodukt als Messgröße für die Stärke einer Wirtschaft zur »mächtigsten Zahl der Menschheitsgeschichte«, wie es der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies nennt. Dass aber Wohlstand gleichbedeutend ist mit Wohlbefinden, bezeichnet Klein als eine der größten Illusionen des 20. Jahrhunderts.

Hedonistische Tretmühle

Den Grund dafür sieht er in der menschlichen Natur. So unterscheidet er zuerst zwischen den Begriffen »Glück haben« und »glücklich sein«, die erstaunlich wenig miteinander gemeinsam haben. Auch zwischen »Zufriedenheit« und »Glück« muss man differenzieren, denn während Erstere als Konstrukt aus Erinnerung und Verstand bei den meisten Menschen sehr konstant bleibt, kann Letzteres nicht dauerhaft sein. Jeglicher Erfolg und Zugewinn, auch ein dauerhafter, wird das Glücksgefühl eines Menschen nur kurzfristig erhöhen. Dazu kommt, dass man sich an Glück gewöhnt wie an eine Droge; letztlich entsteht das positive Gefühl in beiden Fällen durch die Ausschüttung von Dopamin, die bestimmte Verhaltensweisen verstärkt. So kommt es dazu, dass ein Verhalten, das uns einst glücklich gemacht hat, es mit der Zeit nicht mehr tut – es sei denn, es wird durch immer neue Anreize gesteigert. Sozialpsycho­logen sprechen von einer hedonistischen Tretmühle, da man dem Glücksgewinn hinterherlaufen muss.

Wie kann aber nun die Politik von diesen Erkenntnissen profitieren? Welchen Unterschied macht es, wenn sie das Wohlbefinden der Bürger zur Maxime erhebt? Zuerst macht Klein deutlich, dass auch eine Ökonomie des Glücks wirtschaftliche Kenngrößen wie das Bruttoinlandsprodukt und den Unternehmensgewinn ernst nimmt. Doch das langfristige Ziel sei, das Wohlbefinden der Bürger zu steigern. Dazu benötigen Menschen nicht mehr Geld, sondern mehr Selbstbestimmung und Sinn in ihrem Leben und Tun. Wohlstand wird somit ein Mittel zum Zweck, um die Basis dafür zu schaffen, dass Menschen überhaupt glücklich werden können. Denn – auch das hat die Forschung gezeigt – eine gewisse wirtschaftliche Grundlage, ein bestimmtes Einkommen, eine Absicherung braucht der Mensch, damit Existenzsorgen nicht das Denken bestimmen. Darüber hinaus macht mehr Geld allerdings nur kurzfristig glücklich (und das auch in abnehmendem Maß, je mehr schon vorhanden ist). Die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, etwa den Beruf zu wählen oder wo und wie viel man arbeitet, sowie das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, erhöhen das Wohlbefinden dagegen dauerhaft. Zusammenarbeit und Fairness sind weitere Grundpfeiler des Glücks, und so führt das Streben nach Wohlbefinden die Menschen – wie Klein es formuliert – aus ihrer Vereinzelung hinaus.

Dadurch wird das Streben nach Glück schließlich wirtschaftlich profitabel. Einerseits sind glückliche Menschen leistungsbereiter, andererseits übernehmen sie bereitwilliger Aufgaben, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft erleichtern und den Staat (finan­ziell) entlasten. Daher sollte dieser eine regelmäßige Bestandsaufnahme durchführen: Wie groß ist das Wohlbefinden seiner Bürger, und wodurch wird es beeinflusst? Während manche Länder wie Großbritannien, Frankreich, Australien und der Himalaya-Staat Bhutan hier bereits sehr weit sind, hängt Deutschland noch hinterher. Zu Recht fordert der Autor deshalb: »Es ist Zeit, dass sich Deutschland dem Wohlbefinden seiner Bürger mit Ernsthaftigkeit widmet.«

Kleins Essay ist Teil eines multidisziplinären Diskurses zum Thema »Ökonomien der Zukunft« und mit 76 reinen Textseiten schnell zu lesen. Die Kürze schadet dem Buch aber nicht. Es sollte Pflichtlektüre für alle Politiker und Entscheidungsträger werden, denen die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland und das Wohlbefinden seiner Bürger gleicher­maßen wichtig sind.

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