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»Die Philosophin, der Hund und die Hochzeit«: Hipparchia und die Suche nach dem guten Leben

In ihrer Graphic Novel erzählt Barbara Stok von der Philosophin Hipparchia, die Normen in Frage stellt und das gute Leben sucht. Eine antike Geschichte mit hochaktuellen Antworten.

Das Buch startet noch in der heutigen Zeit: »Hier ist es. Hier hat sie gelebt. Vor über 2300 Jahren«. Zwei junge Leute stehen am Straßenrand – man sieht ein Auto, Straßenschilder und Überlandleitungen, vor ihnen das Ortsschild von Maroneia. Doch dann folgt die Geschichte über Hipparchia, eine griechische Philosophin. Auch wenn nur wenig über sie bekannt ist, versucht Barbara Stok, das damalige Leben der jungen und wissbegierigen Frau, die um 340 v. Chr. in Maroneia groß geworden ist und in Athen lebte, als Graphic Novel aufzuzeichnen. Dafür hat die Autorin, eine niederländische Illustratorin und Comiczeichnerin, viele Quellen zum Alltagsleben und den Philosophen im antiken Griechenland studiert, um das Denken und Leben von Hipparchia so real wie möglich zu erzählen.

Hipparchia stammt aus einer wohlhabenden Familie in der Zeit Alexander des Großen. In ihr werden oft philosophische Fragen diskutiert – aber nur von den Männern. Sie dagegen muss heimlich draußen an der Tür lauschen, um den leidenschaftlichen Diskussionen zu folgen. Sie liest die Texte von Platon und macht sich ihre eigenen Gedanken. Haben Hunde eine Seele? Haben dann auch Frauen eine Seele? Und was ist ein glückliches Leben? Bedeutet Glück, viel zu genießen und viel Erfolg zu haben, oder gibt es noch andere Werte? Hipparchia stellt einfache, aber existenzielle Fragen. Sie verkleidet sich als Mann, um auf der Straße bei offenen philosophischen Zirkeln mitreden zu können. Hier lernt sie auch den Philosophen und Kyniker Krates kennen, einen Schüler von Diogenes. Auch Krates lebt ohne Besitz auf der Straße, wird aber als weiser Ratgeber in Athen geschätzt. Hipparchia inspiriert die kynische Denkweise, die einen einfachen Lebensstil propagiert, Konventionen, elitäres Klassendenken, Reichtum und soziale Normen in Frage stellt.

Worauf kommt es wirklich an?

Die Illustrationen, mit denen Barbara Stok die Geschichte erzählt, sind passend zur Denkweise der Kyniker minimalistisch gezeichnet. Die Bilder erinnern an den Stil der »Ligne claire« franko-belgischer Comics wie «Tim und Struppi«. Die Dialoge sind einfach und beschränken sich auf das Wesentliche. Es bleibt also viel Raum, um die Bilder und Hipparchias Fragen wirken zu lassen. Auch beim zweiten Lesen gibt es immer wieder Neues zu entdecken, das bei der ersten Lektüre vielleicht übersehen wurde. Die Wandlung von einer reichen Frau, die »gut« verheiratet werden soll, hin zu einer Philosophin, die ohne Besitz leben will, entfaltet sich langsam. Im Comic braucht es dafür fast 300 Seiten. Dies zeigt: Es ist nicht einfach, ein Leben zu ändern. Hipparchia schlägt schließlich eine verabredete Heirat in eine reiche Familie inklusive Silbermine und Sklaven aus und heiratet Krates. Von ihm ist überliefert, dass er vor der Hochzeit seine Kleidung von sich geworfen, sich nackt vor sie hingestellt und gesagt haben soll: »Das ist mein ganzer Besitz.«

Im Anhang ordnet Stok die von ihr verwendeten Zitate historisch ein. So lernt der Leser Philosophen wie Sokrates, Platon oder Diogenes auf einfache Weise kennen. Auch ihre Recherchen zu den Konventionen und dem Alltagsleben im antiken Griechenland stellt sie vor und erklärt, was es mit »Hund« im Buchtitel auf sich hat.

Barbara Stok schreibt, sie wolle Geschichten von Menschen erzählen, die gegen den Strom schwimmen. Und sich Fragen stellen. Was ist ein gutes Leben? Was ist Glück, was Verzicht? Welche Werte zählen, welche sollten wir in Frage stellen? Es sind zeitlos wichtige Fragen. Und so endet die Comicgeschichte, wie sie begonnen hat: mit einem Bild der Jetztzeit. Die letzte Seite zeigt eine Stadt mit qualmenden Autos in einer verstopften Straße, mit in kleinen Kübeln eingezwängten Bäumchen und einsamen Menschen, die aus Hochhausfenstern schauen. Aber in dieser Art Wimmelbild ist, ein bisschen versteckt, auch ein Mann mit Bart zu finden, der an den Philosophen Krates erinnert. Hier allerdings sitzt er ruhig auf der Straße vor einem schicken Modegeschäft. Und noch etwas hat Barbara Stok in diese letzte Seite hineingezeichnet: zwei suchende junge Menschen. Vielleicht sehnen sie sich nach Alternativen zu diesem Leben im Stress, und vielleicht finden sie Antworten in der kynischen Philosophie. Sie wurde zwar in der Antike entwickelt, könnte aber gerade jetzt, in unserer Welt des Überflusses, wieder hochaktuell werden. Stok schafft es, dies witzig und sehr unterhaltsam zu vermitteln.

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