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Sammelband über die Torheit

Warum und auf welche Weise verhalten sich Menschen dumm? 29 Experten sinnieren über ein vernachlässigtes Forschungsthema.

Selbst mit einer einheitlichen Definition der Intelligenz tun sich Psychologen bis heute schwer. Ihr Gegenteil jedoch ist vielleicht einer der am stärksten vernachlässigten Wesenszüge des Menschen. Die Dummheit ist geradezu ein blinder Fleck der Forschung, stellte der französische Wissenschaftsjournalist Jean-François Marmion fest – und brachte daraufhin namhafte Experten verschiedener Fachgebiete dazu, sich Gedanken zum Thema zu machen. Die Ergebnisse sind in diesem Band aus Essays und Interviews versammelt. Psychologen, Neurowissenschaftler, Neurologen, Psychiater, Philosophen, Soziologen und Linguisten, darunter Koryphäen wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und der Neurowissenschaftler Antonio Damasio, kommen in 29 Kapiteln zu Wort.

Vom Hinterwäldlertum zur kollektiven Dummheit

»Sollen wir uns an unserer Rationalität berauschen, angesichts unserer Dummheit verzweifeln oder unsere Schwäche als Chance begreifen?«, fragt Marmion zu Beginn des Buchs. Die Autoren beleuchten unsere Torheit im Folgenden aus völlig unterschiedlichen Perspektiven. Das ist mal ernst, mal amüsant, aber immer äußerst spannend. So versucht sich der Journalist Jean-François Dortier an einer Typologie der Dummheit. Dabei unterscheidet er etwa den Hinterwäldler vom Leichtgläubigen, beleuchtet die Dummheit als Gruppenphänomen sowie die klassische Intelligenzminderung, früher als Schwachsinn oder Idiotie bezeichnet.

Der Philosoph Pascal Engel nimmt in seinem Beitrag das Phänomen »Bullshit« unter die Lupe. Beim »Bullshitten« geht es um Äußerungen, die der Sprecher trifft, wobei es ihm völlig egal ist, ob sie der Wahrheit entsprechen oder nicht. Der »Bullshitter« lügt dabei nicht einfach, er missachtet vielmehr systematisch die Regeln von wahr und falsch und stellt den Wert der Wahrheit an sich in Frage – eine verbreitete Form der Dummheit im postfaktischen Zeitalter.

In welche Denkfallen der Mensch häufig tappt, erklärt hingegen der Psychologe und Mathematiker Nicolas Gauvrit. Auf Grund unserer Neigung, überall nach verborgenen Mustern zu suchen, tendieren wir ihm zufolge dazu, Zusammenhänge zu vermuten, wo in Wahrheit nur der Zufall am Werk war. Diese Eigenschaft führe uns unter anderem zu Wahrsagern oder ließe uns vorschnell Verschwörungstheorien auf den Leim gehen.

Die Fachbeiträge sind ansprechend geschrieben und meist für Laien verständlich. An der ein oder anderen Stelle ist es jedoch schwer, den Gedankensprüngen der Autoren zu folgen, und man hätte sich eine leserfreundlichere Herleitung gewünscht. Trotzdem ist dieser Sammelband über die menschliche Einfalt eine lohnenswerte Lektüre, aus der man hoffentlich etwas weniger dumm hervorgeht.

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