»Die Psychologie des Populismus«: Jeder ist anfällig für Populismus
Eine ausbeutende Elite, repräsentiert durch das Regierungskabinett, würde das niederländische Volk seit Jahrzehnten unterdrücken. Doch dieses lasse sich das nicht mehr gefallen. Ohne dieses Kabinett würde es dem Land sogar besser gehen. – Auf diese Weise attackierte der Politiker Geert Wilders im Jahre 2009 die niederländische Regierung in einer Haushaltsdebatte. Der Psychologe Huub Buijssen zeigt anhand dieses Zitats wesentliche Grundmerkmale populistischer Politik: den Kampf für das als einheitlich wahrgenommene »Volk« gegen die »Eliten«; dessen vermeintliche Opferrolle; und den auch am Beispiel Wilders und seiner »Partei für die Freiheit« zu erkennenden Zuschnitt populistischer Parteien auf eine einzige Führungsfigur.
Buijssen gliedert seine Darstellung zur Psychologie des Populismus in elf Kapitel. Nach einer Definition des Phänomens analysieren die Kapitel 2 bis 7 populistische Politiker und ihre Ideen. In Kapitel 8 und 9 dreht der Autor den Blickwinkel und untersucht die Beweggründe der Wähler, populistischen Parteien ihre Stimme zu geben. Kapitel 10 ist den Grundlagen moralischer Entscheidungen gewidmet, bevor Buijssen in Kapitel 11 einige Ideen dazu bietet, wie populistische Politik bekämpft werden kann.
Wo liegen die Wurzeln für den zunehmenden Populismus? Buijssen argumentiert, dass diese tief in der menschlichen Psyche verankert sind. Dabei betrachtet er vor allem den Rechtspopulismus, denn in ihm sieht er derzeit die größten Gefahren sowohl für die Niederlande als auch für ihre Nachbarstaaten.
Buijssen skizziert zunächst den typischen und psychologisch durchdachten Aufbau eines Supermarkts, der den Kunden vielen Kaufversuchungen aussetzt. Diesen kann der Kunde am effektivsten widerstehen, wenn er das zugrunde liegende Marketingsystem durchschaut, klaren rationalen Vorstellungen folgt und einen simplen Einkaufszettel benutzt. Denn auch in der Politik gebe es einen Markt: Auf ihm finde man Parteien, Politiker, Ideologien, Lösungen und Versuchungen. Hier herrsche ebenfalls ein Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wahlentscheidungen – auch populistische – werden, so Buijssen, verständlicher, wenn deren Untersuchung neben reinen Sachfragen auch menschliche Wünsche, Triebe und Ängste berücksichtigt.
Für seine grundlegende Definition des Populismus zieht der Autor unter anderem das oben angeführte Zitat von Geert Wilders heran. Typisch sei für den Populismus zudem der häufige Einsatz des Stilmittels der Metonymie zur Bezeichnung des politischen Gegners, bei der dieser durch eng verwandte Begriffe ersetzt wird – etwa »Europäische Union« durch »Brüssel«. Ebenso weist Buijssen darauf hin, dass populistische Politik negative Ereignisse in der Geschichte eines Volkes oder Staates oder ihre differenzierte Aufarbeitung zu umgehen versucht. Stattdessen würden Momente von Ruhm, Kraft und Stärke hervorgehoben. Dieses Verhalten ähnele dem menschlichen Bestreben, sich Vergangenes etwa in einem Lebensrückblick schönzureden.
Wer Hass auf Fremde – Ausländer beziehungsweise Flüchtlinge oder andere Kulturen – schüre, bediene sich einer Grundeinstellung des menschlichen Gehirns: der evolutionär bedingten Angst vor Fremden. In ihnen eine potenzielle Gefahr zu sehen, sei sehr einfach – und am Ende scheine sogar die ganze eigene Kultur bedroht. Diese Ängste zu hinterfragen, sei hingegen ungleich schwieriger – aber dringend notwendig.
Buijssen weist außerdem darauf hin, dass Wähler oft nur einem diffusen Gefühl des Unbehagens an der jetzigen Gesellschaft Ausdruck geben, wenn sie Populisten folgen. Somit könnten die Ansatzpunkte einer auf Ängsten basierenden Politik stark variieren. Oft leite sich, so der Autor, aus der Angst vor vermeintlichen Gefahren ein kurzfristiges Sicherheitsdenken ab, das in die Forderung nach härteren Strafen münde. Dieser Mechanismus bedinge, dass Statistiken zum Rückgang von Kriminalität von populistischen Politikern oft ignoriert würden, da sie Angst als Erfolgsfaktor ihrer Politik zu reduzieren drohen.
Ein Lob auf den »Einkaufszettel«
Grundsätzlich schreibt Buijssen dem Menschen sechs Wurzeln moralischer Entscheidung zu: Fürsorge, Fairness, Freiheit, Loyalität, Autorität und Heiligkeit (des Körpers, von Symbolen, Orten oder Prinzipien). Damit folgt er einem Konzept des Moralpsychologen Jonathan Haidt. Sie alle spielen auch für Wahlentscheidungen eine Rolle, so der Autor. Anders als bei linkspopulistischen Wählern überwiegen auf rechtspopulistischer Seite die Wurzeln Loyalität, Autorität und Heiligkeit als Grundlagen für Wahlentscheidungen. Aus seiner Darstellung leitet Buijssen anschließend Handlungsempfehlungen für Politiker und Bürger ab, um demokratiegefährdenden populistischen Ansätzen zu begegnen.
Huub Buijssen stellt politischen und wirtschaftlichen Erklärungen für das Erstarken des Populismus einen gut verständlichen psychologischen Ansatz an die Seite – diese Herangehensweisen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich. Doch gerade aus dem psychologischen Ansatz folgt eine äußerst unbequeme Konsequenz: Da die Wurzeln von Moral bei allen Menschen die gleichen und nur unterschiedlich ausgeprägt sind, sind wir im Grunde alle anfällig für populistische Politik. Es empfiehlt sich also, politische Angebote rational zu analysieren und jederzeit seinen »Einkaufszettel« bereitzuhalten.
»Die Psychologie des Populismus« ist verständlich geschrieben, könnte aber durch die Aufbereitung von empirischen Daten weiter fundiert werden. Schade ist es, dass Buijssen dem Linkspopulismus nicht die gleiche Aufmerksamkeit widmet wie dem Rechtspopulismus. Denn dieser ist in einigen EU-Ländern ebenfalls stark vertreten – etwa in Griechenland oder Spanien. Auch könnten Mischformen zwischen Links- und Rechtspopulismus näher beleuchtet werden. All das lässt eine noch tiefere Behandlung des Themas wünschenswert erscheinen.
Das Buch eignet sich für gesellschaftspolitisch interessierte Leser, die das Erstarken vor allem rechtspopulistischer Kräfte verstehen und ihren demokratiefeindlichen Bestrebungen etwas entgegensetzen möchten.
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