»Die sieben Todsünden«: Das Jahrhundert der Trägheit
Wir leben in schwierigen Zeiten. Demokratien geraten ins Trudeln, die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter und weiter auseinander. Es drohen Kriege um Rohstoffe, die Klimakatastrophe scheint ebenfalls kaum noch vermeidbar. Was kann es da helfen, sich mit so etwas Antiquiertem wie den sieben Todsünden zu befassen?
Hochmut, Habgier, Wollust, Neid, Völlerei, Zorn und Trägheit – diese Liste stellte Papst Gregor der Große Anfang des 6. Jahrhunderts zusammen. Die Historikerin Annette Kehnel von der Universität Mannheim begreift solche Kategorien als pragmatischen Versuch, menschliches Fehlverhalten zu verstehen, auch um Gegenmaßnahmen zu empfehlen.
Wer eine Todsünde begeht, wendet sich gegen Gott und gegen den zwischen ihm und den Menschen geschlossenen Bund, so sieht es die römisch-katholische Kirche. Das Konzept ist aber weit älter. Am Anfang stand ein »Störgefühl«, wie es die Autorin nennt: Mit der Menschheit ist etwas nicht in Ordnung – wie sonst ließe sich erklären, dass sie einerseits zu Großem fähig, ihre Geschichte aber andererseits von Krieg und Zerstörung geprägt ist?
Den »Systemfehler« unserer Spezies erklärte beispielsweise ein griechischer Mythos: Die Titanen ermordeten und verspeisten Dionysos, den Sohn des Zeus. Aus Rache verbrannte der die Schuldigen zu Asche und formte aus dieser dann die Menschen. Die Gewalttätigkeit der Titanen gehört also ebenso zu unserer Natur wie der göttliche Funke des Dionysos, beide stecken in unserer DNA.
Wie kann man diese Spannung kontrollieren? »Die griechischen Philosophen brachen das Problem herunter auf die Frage nach einem guten Leben«, erläutert die Autorin, in ihm befinden sich Tugenden und Laster in der Balance. Zum Beispiel bei der Ernährung. Im Mittelalter galt die Völlerei als Todsünde der Oberschicht. Denn, wie Berthold von Regensburg im 13. Jahrhundert wetterte, nehmen die Reichen durch Völlerei den Armen Nahrung weg; somit entzögen sie sich ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft. Außerdem sei übermäßiges Essen verantwortlich für schwere Krankheiten und sogar Dummheit. Der Geistliche riet, mit Verstand zu essen. Schon seit der Antike empfahlen Gelehrte zudem das Fasten.
Von den Alten lernen
Für die Armen war das Fasten eine unabwendbare Gewohnheit, für Mönche und Mystiker ein Weg, um Gott näher zu sein. Man wusste noch nichts vom Insulinspiegel und hatte auch keine Statistiken, die Übergewicht mit Krankheitsbildern korrelierten. Inzwischen ist Fasten ist wieder in. Aus spirituellen oder gesundheitlichen Gründen, zur Entgiftung oder Entschleunigung. Mittelalter trifft Lifestyle.
Auch wenn unser Konsum an Nahrungsmitteln die Gesundheitssysteme ernsthaft belastet, verursachen doch wohl eher andere Todsünden die Krisen des 21. Jahrhunderts. Kehnel diskutiert zunächst die Gier. Sie sei im Kapitalismus von einer Todsünde zu einer Tugend avanciert, auch weil Konsum die Wirtschaft in Schwung halte. Schwindende Rohstoffe und wachsende soziale Ungerechtigkeit legten inzwischen einen Systemwechsel nahe. Auch der Hochmut sei allgegenwärtig, man denke nur an die Allmachtsfantasien einschlägiger Herrscher.
Weit problematischer aber erscheint der Autorin, dass all das bekannt sei und es durchaus gute Alternativen gebe. Und dennoch, so beklagt sie, beharrten wir auf einem »Weiter so!«. Die Todsünde des 21. Jahrhunderts sei daher die Trägheit. Kehnel empfiehlt als Gegenmittel: eine »zukunftsgerichtete Erinnerung« daran, wie frühere Gesellschaften Probleme meisterten.
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