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Buchkritik zu »Die Spione im Unendlichen«

Dieses Buch ist nicht noch ein Abriss der modernen Naturwissenschaft, etwa im Stil von Stephen Hawkings Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit", sondern eine originelle und aufschlussreiche Anekdotensammlung über die Begründer der empirischen Naturforschung. Spektrum-Leser kennen den Autor bereits als Verfasser des Artikels "Die Identität der Quanten" (Januar 2003). Er ist studierter Physiker und Konzertpianist, Insider und Außenstehender zugleich, was ihm einen ziemlich schrägen, aber für den Leser ergiebigen Blickwinkel verschafft.

Was für Menschen setzten in der Renaissance die Samenkörner, aus denen die gewaltigen Bäume der empirischen Wissenschaften aufwuchsen? Pesic zufolge waren sie alles andere als trockene Rechenknechte, engstirnige Federfuchser, sinnenfeindliche Stubengelehrte. Eine geradezu erotische Neugier, der Natur ihre Geheimnisse zu entlocken, trieb sie hinaus ins Unbekannte. Die Welt erschien ihnen als Labyrinth, in dessen Zentrum der Schlüssel zur Naturbeherrschung liegt, oder als rätselhaftes Kryptogramm, das nur dem mathematisch Kundigen den Klartext offenbart.

Francis Bacon (1561-1626), Johannes Kepler (1571-1630) und Isaac Newton (1642-1727) waren nicht nur kühne Entdecker, sondern auch geschickte Agitatoren. In ihren Schriften arbeiteten sie mit allen rhetorischen Tricks, um das Publikum für die neue Wissenschaft zu gewinnen. Bacon entwirft in seinem "Neu-Atlantis" ein utopisches Gesellschaftsmodell, in dem der Verstand regiert – was eine großzügige Deregulierung sexueller Konventionen durchaus einschließt. Kepler lässt wie ein heutiger Krimiautor den Leser zappeln und an allen Wegen, Irrwegen und Sackgassen seiner kosmologischen Überlegungen teilhaben, um erst am Ende die Auflösung – das heliozentrische System mit elliptischen Planetenbahnen und den drei Kepler'schen Gesetzen – zu präsentieren.

Newton wiederum treibt mit seinen Lesern ein Versteckspiel, mit dem Ziel, sich durch Schwerverständlichkeit gegen zeitgenössische Kritiker zu schützen. Der Begründer der klassischen Physik schrieb umfangreiche Geheimtexte über Alchimie, versuchte sich in nächtlichen Experimenten an "Kopulationen" von Gold und Quecksilber und vertrat eine ketzerisch-fundamentalistische Auslegung der Bibel, die ihn Kopf und Kragen hätte kosten können. Seine Erkenntnis, dass der Fall eines Apfels und der Weg der Planeten demselben Gesetz gehorchen, wurde ihm durch die astrologisch-alchimistische Überzeugung nahe gelegt, der Lauf der Gestirne bestimme letztlich alle irdischen Vorgänge.

Auch bei Albert Einstein sucht Pesic in der intellektuellen Biografie nach privaten Motiven für ein lebenslanges Streben nach Naturerkenntnis. Ein Schlüsselerlebnis war die frühe Bekanntschaft mit Euklids Geometrie, die den gesamten Raum der Erfahrung auf wenige Axiome zurückführt. Später kam die Berührung mit den Schriften des Philosophen Spinoza hinzu, dessen strengen Determinismus und Pantheismus Einstein als geistesverwandt empfand. Bekanntlich kritisierte Einstein später die Quantentheorie als unvollständig: Eine Theorie, die nur Wahrscheinlichkeitsaussagen zulässt und die Frage, wie ein nicht beobachtetes Mikroobjekt "an sich" beschaffen sei, für sinnlos erklärt, widersprach seinem Wissenschaftsverständnis. Bis zu seinem Tod bemühte Einstein sich um eine einheitliche Feldtheorie, welche die unendliche Vielfalt der Natur nach Art der euklidischen Axiome auf einige abstrakt-mathematische Aussagen reduzieren sollte.

Den Studenten begegnet die Physik heute als fertige Formelsammlung, die experimentelle Daten zusammenfasst. Bei Pesic lernt der Leser die sinnlichen Antriebe kennen, die Menschen veranlasst haben, als neugierige Spione in das Labyrinth der Natur einzudringen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2004

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