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Wächter der Worte

Sprachpflege und Nationalismus sind ein traditionsreiches Gespann, wie der Germanist Karl-Heinz Göttert belegt.

Karl-Heinz Göttert gehört offenbar zu den Professoren, die im Ruhestand noch einmal richtig loslegen. Seit er sich 2009 von seinen Dienstverpflichtungen als Professor für Ältere Deutsche Literatur an der Universität Köln verabschiedete, hat er im Schnitt jedes Jahr ein Buch veröffentlicht – darunter eine Kulturgeschichte der Orgel. Sein Hauptanliegen freilich ist und bleibt die deutsche Sprache und ihre Geschichte.

Im Jahr 2013 befasste sich Göttert in »Abschied von Mutter Sprache« unter anderem mit der Frage, ob das Deutsche tatsächlich in Anglizismen unterzugehen drohe, und konnte Entwarnung geben. Sprachwandel durch Einflüsse anderer Sprachen, schrieb er, sei historisch eher die Regel als die Ausnahme; Anglizismen und ihre Verwender öffentlich an den Pranger zu stellen, sei erstens zum Scheitern verurteilt und zweitens albern (was er selbst viel subtiler ausdrückte.) Das ging auch gegen den Verein Deutsche Sprache und den Preis, den dieser alljährlich verleiht, nämlich den »Sprachpanscher des Jahres«, der sich vor allem gegen den Gebrauch von Anglizismen richtet.

Bloß nicht »Couvert«

Götterts neuestes Buch »Die Sprachreiniger« kann man als Begleitstück zu »Abschied von Mutter Sprache« lesen. Das Werk behandelt die Geschichte eines Vereins, der sich ebenfalls die Reinhaltung des Deutschen auf die Fahnen geschrieben hatte. Es handelte sich um den 1886 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachverein, der sich – das ist aber nicht mehr Gegenstand des Buchs – nach dem Zweiten Weltkrieg als Gesellschaft für deutsche Sprache neu konstituierte und in dieser Eigenschaft bis heute etwa das »Wort des Jahres« kürt.

Von Anfang an, so die Grundthese des Autors, seien im Fahrwasser der Sprachpflege Nationalismus und Chauvinismus gesegelt. Zu Zeiten des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins allerdings empfand man vor allem die Sprache des soeben besiegten Kriegsgegners als feindlichen Einfluss, nämlich das Französische. Regelmäßig den Kürzeren zogen gemäßigte Vereinsangehörige wie dessen erstes Ehrenmitglied, der Generalpostmeister Heinrich Stephan. Diesem war es vor allem darum gegangen, nach vollzogener Reichsgründung eine einheitliche und verständliche Terminologie für das nunmehr gesamtdeutsche Postwesen zu schaffen. Dazu gehörten Begriffe wie »eingeschrieben« für »rekommandiert« oder »Umschlag« für »Couvert«. Hermann Dunger wiederum, Gymnasialprofessor aus Dresden, hatte 1882 ein Wörterbuch zu »Verdeutschungen entbehrlicher Fremdwörter« vorgelegt – und damit mehr oder weniger deutlich eingeräumt, dass es auch unentbehrliche gibt. »Dörrleiche« für »Mumie« beispielsweise ging Dunger zu weit.

Den Ton im Verein gaben aber schon bald Eiferer wie Otto Sarrazin an, dessen langjähriger Vorsitzender. Sarrazin interessierte sich nicht dafür, ob ein Fremdwort gut eingeführt und allgemein verständlich, im internationalen Sprachgebrauch anschlussfähig oder unverzichtbares Element einer präzisen Fachterminologie war. Es ging ihm um Reinhaltung ohne Rücksicht auf Verluste. Was die akademische Sprachwissenschaft, die in den Reihen des Vereins nur schwach vertreten war, dazu zu sagen hatte, war für den Verein nicht von Belang. In akademischen Kreisen wiederum befand man es oft nicht der Mühe wert, gegen den offenkundigen Dilettantismus der Sprachreiniger Stellung zu beziehen. Gegenwind kam eher von Seiten der Universitäten insgesamt sowie von Schriftstellern: Die »Erklärung der 41« warnte vor einer möglichen Verarmung der Sprache im entfesselten Ausputzfuror. Zu den Unterzeichnern zählten Theodor Fontane und der Althistoriker Theodor Mommsen, dem für seine »Römische Geschichte« 1902 der Literaturnobelpreis verliehen wurde.

In der Zeit des Nationalsozialismus wendete sich das Blatt. Einerseits tat sich der nunmehr gleichgeschaltete Verein zunächst schwer damit, dass viele Nazi-Granden keineswegs ausgewiesene Fremdwortfeinde waren. Joseph Goebbels beispielsweise, Germanist mit Doktortitel, mokierte sich 1937 in einer Rede vor der Reichskulturkammer vielmehr über »künstlich erdachte Wortbildungen«, die »völlig am Wesen der Sprache« vorbeigingen. »Der Führer wünscht nicht derartige gewaltsame Eindeutschungen«, sah sich der Verein gezwungen zu drucken. Andererseits hatte man mit Rudolph Buttmann ein prominentes NSDAP-Mitglied als Vorsitzenden, und es kamen (wieder einmal) Überlegungen auf, der Sprache eine geradezu weltbildgestaltende Kraft zuzuschreiben. Das bot eine willkommene Rechtfertigung dafür, Wörter aus anderen Sprachen auszugrenzen, weil sie angeblich das genuin deutsche Denken und Fühlen zu kontaminieren drohten.

Dies und vieles mehr leuchtet Göttert bis in die dunkelsten Ecken aus. Natürlich kommt dabei auch einiges an unfreiwilliger Komik zum Vorschein. »Seidling« für den Kokon oder »auteln« für die Fortbewegung per Automobil beispielsweise. Man täte Göttert allerdings Unrecht, würde man sein Buch auf eine Ansammlung solcher Kuriositäten reduzieren. Es geht ihm nicht um wohlfeile Denunziation und billige Schenkelklopfer – sein Anliegen ist Aufklärung. Dabei gelingt es ihm einerseits, die eigene Haltung nicht krampfhaft zu bemänteln, sie dem Leser andererseits aber auch nicht aufzudrängen. Es bleibt dem Publikum überlassen, Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen oder auch nicht. Göttert selbst belässt es bei Andeutungen im Epilog.

Wenn der Ruhestand aller Professoren derart gründlich recherchierte und glänzend formulierte Bücher hervorbrächte, wäre es unbedingt angeraten, über eine Verkürzung ihrer Lebensarbeitszeit nachzudenken.

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