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»Die Welt der Gerüche«: Der Geruch von Glück und Verderben

Bjørn Berge beklagt, dass wir uns immer mehr zu sensorischen Analphabeten entwickeln, und plädiert eindringlich dafür, den Geruchssinn zu kultivieren.

Unser Geruchssinn kann Freude auslösen, aber auch Abscheu. Er weckt Erinnerungen und beeinflusst unsere Entscheidungen. Bjørn Berge führt uns – zum Teil autobiografisch anekdotisch – durch die Welt der Gerüche. Sein Buch ist eine Reise durch die Geschichte des Geruchs, präsentiert Wissen zur Physiologie der Geruchswahrnehmung sowie zum Chemismus verschiedener Gerüche. Zudem ist es eine literarische Fundgrube zum Thema Riechen und erforscht mit weitem Horizont den Geruchssinn. Der Autor selbst versteht sein Werk als »Plädoyer für den freien Geruchssinn in allen Nuancen von Schönheit bis Ekel«.

Berges Perspektive ist vorwiegend auf die europäische Kultur gerichtet. Er beschreibt, wie Gerüche unsere Wahrnehmung und Orientierung beeinflussen, und ermuntert dazu, den Geruchssinn auch in unserer von digitalen Medien bestimmten Zeit gegenüber dem Hören und Sehen nicht zu vernachlässigen. Er erläutert die Grundlagen des Riechens; so zum Beispiel, dass wir ohne den Geruchssinn geschmacklich nur die einfachen Qualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami wahrnehmen könnten, aber keine ihrer feineren Nuancen. Er erklärt die spontane, individuelle Eigenart des Geruchssinns: »Dinge können anders riechen, je nachdem, ob wir müde oder erregt, hungrig oder satt, froh oder traurig, schwanger oder verkatert sind.« Immer wieder beklagt er, dass unsere Häuser und Städte zu Geruchswüsten verkümmern würden: »Wir entwickeln uns immer mehr zu sensorischen Analphabeten.«

Im Zusammenspiel mit den anderen Sinnen bewirkt der Geruchssinn ganzheitliche Empfindungen. So prägen Gerüche unser Leben stärker, als wir meinen. Theoretisch ist das menschliche Gehirn neuerer Studien zufolge in der Lage, mehr als eine Billion verschiedener Gerüche wahrzunehmen. Der Autor ist hier etwas vorsichtiger, wenn er schreibt, es sei »bewiesen, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist, eine Million verschiedener Gerüche voneinander zu unterscheiden. Einige Wissenschaftler veranschlagen eine noch höhere Zahl, womöglich bis ins Unendliche.« Generell gilt aber, dass die Wahrnehmungsschwellen von Individuum zu Individuum variieren. Seit der Antike haben Philosophen und Naturwissenschaftler immer wieder vergeblich versucht, Systeme zur Klassifizierung komplexer Geruchserfahrungen zu entwickeln, sie bleiben aber in erster Linie individuell.

Und der Geruchssinn ist veränderlich. Denn er ist weitaus weniger als alle anderen Sinne von angeborenen Merkmalen bestimmt. Vielmehr hängt er zum größten Teil von persönlichen Erfahrungen ab, insbesondere solchen aus der ersten Lebensphase. Gerüche selbst sind flüchtig, aber diese Erinnerungen halten länger vor als alle anderen. Dabei unterstützt die Kopplung von Geruchssinn und Erinnerung auch andere Sinnesleistungen, etwa den Richtungssinn: Viele Tiere, von Zugvögeln bis zum Wildlachs, orientieren sich anhand von Gerüchen.

Alles riecht

Das Buch gliedert sich nebst Vor- und Nachwort in 21 Kapitel. Wir erfahren, wie Sicherheit, Verderben, Glückseligkeit, Angst und Sehnsucht oder Wollust riechen können – und auch das Nichts hat einen Geruch. Gleichzeitig unternehmen wir eine Zeitreise: vom Geruch der Stadtgründungen des Altertums über die Gerüche der Pestepidemien des Mittelalters bis hin zu den mehr oder minder angenehmen Düften in unserer Gegenwart. Literarische Zitate sowie weitere historische und alltägliche Beispiele ergänzen die Ausführungen und sorgen für eine abwechslungsreiche Präsentation des Themas. Auch chemisch Interessierte kommen auf ihre Kosten, werden doch die einzelnen Komponenten vieler bekannter Gerüche aufgeschlüsselt.

Dass die moderne Welt hauptsächlich auf den Sehsinn und in zweiter Linie auf den Hörsinn ausgerichtet sei, führt laut Berge dazu, dass neben Tasten und Fühlen vor allem das Riechen stark zurückgedrängt wird. Nicht selten werde gar die völlige Abwesenheit von natürlichen Gerüchen als ideal empfunden. Dabei prägen Gerüche unser Leben bis in kleinste Details; so fassen sich die meisten Menschen kurz nach dem Händeschütteln instinktiv an die Nase, um geruchliche Informationen über das Gegenüber aufzunehmen.

»Unser Geruchssinn muss erhalten bleiben, sonst verkümmern wir, und er entwickelt sich nur durch Erfahrung« – so formuliert der Autor eine zentrale Aussage seines Buchs. Überzeugend plädiert Bjørn Berge für den freien Geruchssinn in all seinen Facetten – vom Duft der Blumenwiesen bis zum Aroma von Knoblauch. Wer die kompakten Darstellungen der chemischen oder physiologischen Grundlagen des Riechens und des Geruchssinns vertiefen möchte, findet in der ausführlichen Bibliografie samt Quellenverzeichnis zahlreiche Anknüpfungspunkte. Als unterhaltsam, spannend und lehrreich kann »Die Welt der Gerüche« einschlägig interessierten Leserinnen und Lesern uneingeschränkt empfohlen werden.

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