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Schmelztiegel der Religionen

Althistoriker Glen W. Bowersock schildert die verworrene Geschichte vom Aufstieg der muslimischen Religion.

Der Islam hat seinen Ursprung im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel. Wer mit und in der europäischen Geschichte groß geworden ist, für den sind diese Zeit und diese Weltgegend typischerweise ein blinder Fleck im geschichtlichen Wissen. Dabei ist die Epoche Mohammeds (ca. 570 bis 632) und seiner unmittelbaren Nachfolger sehr bedeutsam, denn sie nimmt bis heute starken Einfluss auf die Weltgeschichte. Allerdings stellt sich die historische Quellenlage schwierig dar, denn die vorhandenen Quellen sind religiös eingefärbt und daher tendenziös. Juden und Christen erlebten die Vertreter der neuen Religion als kriegerische Eroberer, die Muslime sich selbst hingegen als Verkünder der rechten Botschaft.

Der renommierte amerikanische Althistoriker Glen W. Bowersock zielt in seinem Buch darauf, die vorhandenen Quellen wissenschaftlich belastbar auszuwerten. Dies gelingt ihm gut. Der Autor schafft es, mittels akribischer und detailreicher Argumentation auf interessante Weise auszuleuchten, in welchem Umfeld und unter welchen Umständen die islamische Weltreligion entstand. Die Besonderheit des Werks liegt darin, dass es seinen Fokus darauf richtet, wie die arabische Kultur von umgebenden Kulturen und Religionen beeinflusst wurde. Denn sowohl Äthiopien und Palästina als auch Byzanz und das persische Sassanidenreich haben ihre Fußabdrücke auf der arabischen Halbinsel hinterlassen.

Zusammenprall der Kulturen

Viele Leser wird überraschen, dass in Arabien schon lange vor Mohammeds Zeiten ein monotheistisches Staatengebilde existierte, wie Bowersock herausarbeitet. 200 Jahre lang, von 380 bis 560, bestand im Südwesten der Halbinsel ein solches Reich, das zuerst jüdisch und dann christlich geprägt war. Es ist seiner Spätphase eng mit der schillernden Figur des äthiopischen Generals Abraha verbunden, der im 6. Jahrhundert lebte.

Abraha war ein General des christlichen Königs Kaleb. Dieser regierte über das aksumitische Reich, das im Nordosten Afrikas lag und Teile des heutigen Eritrea und Äthiopien umfasste. Im Jahr 525 besetzten Kalebs Truppen das Königreich Himyar im heutigen Jemen und setzten dessen jüdischen Herrscher ab. Den äthiopischen Soldaten gefiel das Klima dort so gut, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurück wollten und ihr General Abraha sich in der besetzten Region als neuer Herrscher etablieren konnte. In der Folgezeit gelang es ihm, seinen Einfluss weit nach Arabien hinein auszudehnen. Sein junges Reich – und mit ihm das Christentum – wurde zu einem bedeutenden machtpolitischen Faktor auf der Halbinsel. Das bezeugt nicht zuletzt »al-Qualis«, die große Kirche und »Wunder Arabiens«, die Abraha in Sanaa errichten ließ, der Hauptstadt Himyars.

Abrahas Reich hatte freilich nicht lange Bestand, schon unter der Herrschaft seiner Söhne brach es zusammen, und Arabien geriet wieder unter den Einfluss der Perser. Doch entstand hierdurch ein Machtvakuum, das den politischen Aufstieg des Islam begünstigte, denn Mohammed und seine Nachfolger nutzen die Situation geschickt aus: Persien war weit weg und die zweite Großmacht, Byzanz, konnte in Arabien nicht eingreifen. Von Mekka und Medina ausgehend, gelang es den Muslimen daher, Stück für Stück ihre neue Herrschaft in Arabien zu festigen. Am Ende jener Epoche stand die Eroberung Jerusalems durch muslimische Truppen (638) sowie der Bau des Felsendoms (691/692) als zweites muslimisches Zentralheiligtum neben Mekka. Obwohl die Quellenlage hierzu sehr spärlich ist, gelingt es Bowersock, die damaligen Ereignisse einsichtig zu rekonstruieren.

In den Jahrzehnten nach Mohammed, schreibt der Autor, habe der Nahe Osten ein neues Gesicht bekommen. Zahlreiche Kriege und Eroberungen veränderten die Machtverhältnisse in der gesamten Region. Das Sassanidenreich wurde zerschlagen und das einst so mächtige byzantinische Reich (Ostrom) schrumpfte zusammen auf Kleinasien und Zypern. Eine weitere wichtige Entscheidung jener Zeit prägte die folgenden Jahrhunderte maßgeblich: Mit Beginn der Umayyaden-Dynastie verschob sich das politische Machtzentrum des Islam nach Damaskus, während Mekka das religiöse Zentrum blieb.

Abschließend schildert Bowersock, wie sich der Islam unter dem Kalifen ‘Abd al-Malik in dem neuen Reich konsolidierte. Arabisch avancierte zur Verwaltungssprache, neue Münzen wurden gepresst und der Bau des Felsendoms in Jerusalem setzte ein deutliches Zeichen, denn er erfolgte auf dem Gelände des zerstörten salomonischen Tempels, des heiligsten Orts des Judentums. Zudem bezeugen die Inschriften des Felsendoms eine Ablehnung des christlichen Glaubens.

Der nüchterne, wissenschaftsnahe und faktenreiche Stil Bowersocks macht das Buch sehr lesenswert. Einen aktuellen Bezug hat die Lektüre vor allem im Blick auf die heutigen Konflikte in dieser Region.

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