Direkt zum Inhalt

Einmal Digitalisierung und zurück

Der Soziologe Bernhard Miebach führt den Leser in einem Parforceritt durch die digitale Transformation.

Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Trotzdem offenbaren sich in Diskussionen immer wieder Wissenslücken. Was bedeuten Netzwerkeffekte? Wie funktioniert eigentlich die Blockchain? Was sagt nochmal das mooresche Gesetz aus? Auf diese und zahlreiche weitere Fragen liefert der Soziologe Bernhard Miebach in seinem Buch »Digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft« Antworten. Miebach will dabei die gesamte Informationstechnologie abdecken – von der Geschichte des Internets über künstliche Intelligenz bis hin zu Robotik und Maschinenethik.

Große Bandbreite

Bei einer solchen Bandbreite beschleicht den Leser vielleicht der Verdacht, man könnte es hier mit einer etwas überdimensionierten Erkundungstour der Digitalisierung zu tun haben. Dieser Verdacht wird jedoch zunächst widerlegt. Erstaunlich leichthändig führt Miebach in das Thema ein. Er erklärt, wie Computerhardware aufgebaut ist, wie Speichertechnologien funktionieren und was sich hinter dem sperrigen Begriff »Cloud Computing« verbirgt. Schnell landet er bei Open Source und Plattformen, und man bekommt in diesem Parforceritt durch die Informationstechnologie eine Ahnung davon, wie die einzelnen Innovationssprünge zusammenhängen.

Die Ausführungen erschöpfen sich jedoch nicht in einer rein technischen Darstellung. Der Autor begründet die Entwicklungen auch soziologisch. So erklärt er mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann eine Google-Suche als Zustandsänderung von Wissen. Immer wieder webt der Autor soziologische Klassiker – etwa Max Webers Bürokratietheorie bei der digitalen Transformation der Arbeit – in seine Analyse, wovon das Buch profitiert. Jedes Kapitel rundet er mit einem kurzen Fazit ab.

Der Vorzug des Buchs besteht darin, dass es komplexe Sachverhalte herunterbricht und auf wenige Seiten kondensiert. Ein Leser mit wenig Informatik(vor)kenntnissen versteht so, wie beispielsweise Transaktionen auf der Blockchain abgewickelt werden. Diese große Stärke ist aber gleichzeitig auch die größte Schwäche des Werks: Ein so breites Themenspektrum erreicht man nur um den Preis grober Vereinfachungen und Verkürzungen. So wird die – nicht unwichtige – Cyberkriminalität auf ein paar dürren Seiten abgehandelt, was der Komplexität des Themas nicht gerecht wird. Datenschutz taucht zwar an verschiedenen Stellen auf, hätte aber eine kritischere Würdigung verdient.

Weil der Autor Themen meist nur anreißt, entstehen immer wieder kleine Ungenauigkeiten. So ist die KI im Personalmanagement deutlich weiter, als es sein empirisches Material vermuten lässt. In die sonst soliden Analysen mischen sich leider auch immer wieder Allgemeinplätze wie dieser: »Influencer (Beeinflusser) spielen für das Marketing von Produkten mittlerweile eine Rolle.«

Miebach referiert einschlägige Literatur, ohne ihr etwas Neues hinzuzufügen. Durch die extreme Verdichtung werden zudem einzelne Themen aus dem Kontext gerissen. So landet Lawrence Lessigs berühmter Aufsatz »Code Is Law«, in dem es um die rechtliche Architektur des Internets geht, in einem Kapitel über Computerspiele und Spielesucht.

Miebachs Werk ist mehr als lexikalisches Nachschlagewerk und nicht als thesenhaftes Buch angelegt. Insofern sind Vereinfachungen unvermeidlich. Trotzdem hätte man sich eine stärkere Fokussierung auf ein Thema wie Spracherkennung oder autonomes Fahren gewünscht, das an sich schon buchfüllend ist. So bleibt nach der Lektüre das Gefühl, der Autor habe sich vielleicht doch etwas zu viel vorgenommen – zumal die vollmundig im Titel angekündigten sozialen Veränderungen deutlich zu kurz kommen.

Wer ein fundiertes soziologisches Sachbuch zur Digitalisierung lesen möchte, sollte daher lieber zu Armin Nassehis »Muster« oder Dirk Baeckers »4.0 oder Die Lücke, die der Rechner lässt« greifen. Wer mehr an einem Überblick über die Digitalisierung interessiert ist, dürfte mit Miebachs Werk dennoch gut bedient sein.

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Wer entscheidet? Wie das Gehirn unseren freien Willen beeinflusst

Was bedeutet es, ein Bewusstsein zu haben? Haben wir einen freien Willen? Diese Fragen beschäftigt Neurowissenschaft, Philosophie und Theologie gleichermaßen. Der erste Artikel zum Titelthema zeichnet die Entwicklung der neurowissenschaftlichen Forschung nach und zeigt, wie das Gehirn das subjektive Erleben formt. Anschließend geht es im Interview mit dem Neurophilosophen Michael Plauen um die Frage, ob wir frei und selbstbestimmt handeln, oder nur Marionetten unseres Gehirns sind. Die Antwort hat Konsequenzen für unser Selbstbild, die Rechtsprechung und unseren Umgang mit KI. Daneben berichten wir, wie virtuelle Szenarien die traditionelle Psychotherapie erfolgreich ergänzen und vor allem Angststörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen lindern können. Ein weiterer Artikel beleuchtet neue Therapieansätze bei Suchterkrankungen, die die Traumata, die viele Suchterkrankte in ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben, berücksichtigen. Zudem beschäftigen wir uns mit der Theorienkrise in der Psychologie: Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer erklärt, warum die Psychologie dringend wieder lernen muss, ihre Theorien zu präzisieren.

Spektrum der Wissenschaft – Dunkle Energie - ein Trugbild?

Eine geheimnisvolle Kraft treibt alles im Universum immer schneller auseinander. Doch niemand weiß, was hinter dieser Dunklen Energie steckt, und neue Messdaten mehren grundsätzliche Zweifel am kosmologischen Standardmodell. Bieten alternative Ansätze eine Erklärung? Außerdem: Neue Verfahren erlauben es, Immunzellen direkt in unserem Körper so zu verändern, dass sie Krebszellen attackieren – bisher mussten sie Patienten dafür entnommen und wieder zurückgeführt werden. Quantentheorie und allgemeine Relativitätstheorie beruhen auf unvereinbaren Weltbildern. Neue Experimente an der Schnittstelle zwischen Quantenphänomenen und Gravitation sollen helfen, diesen Widerspruch zu überwinden. In der Pangenomik wird das Erbgut zahlreicher Individuen verglichen – mit weitreichenden Folgen für Forschung und Züchtung von Nutzpflanzen. Und wie immer in der Dezemberausgabe berichten wir vertieft über die Nobelpreise des Jahres für Physiologie oder Medizin, Physik und Chemie, ergänzt durch einen kritischen Blick darauf, welche Verantwortung mit großen Entdeckungen einhergeht.

Spektrum - Die Woche – Alzheimer-Biomarker bei Neugeborenen entdeckt

In dieser »Woche« geht es um überraschende Befunde aus der Alzheimerforschung: Warum Neugeborene auffallend hohe Konzentrationen eines bekannten Biomarkers im Blut tragen – und was das über die Plastizität des Gehirns verrät. Außerdem: Müssen wir dank KI bald nur noch halb so viel arbeiten?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.