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Apokalypsen für Anfänger

Von den Pestwellen in Europa zu Hungersnöten in der Sowjetunion: Es haben bereits einige Katastrophen die Menschheit heimgesucht. Wie sich herausstellt, reagieren wir oft gleich.

In der Geschichte der Menschheit sind Apokalypsen, Katastrophen und Weltuntergänge eine nicht enden wollende Konstante. Selbst in den ältesten Mythologien der Menschheit finden sich Berichte über derartige Ereignisse. Und obwohl die Geschichte lehrt, dass Seuchen, Unwetter, Erdbeben und Kriege immer wieder die Menschheit heimsuchen, sind wir doch überrascht, wenn es wirklich so weit ist.

Der Grusel ist geweckt

Das neue Buch des Historikers Niall Ferguson nimmt sich Katastrophen sowohl in geschichtlicher wie auch aktueller Hinsicht an. Der Titel des Buches lautet einfach »Doom«: In grellen weißen Großbuchstaben springen die vier Lettern der Leserschaft ins Auge, und mancher wird sich an das berühmt-berüchtigte Ego-Shooter-Spiel gleichen Namens aus den 1990er Jahren erinnern. Das Titelbild ist dazu gut gewählt: »The Great Day of His Wrath« von John Martin (1789–1854): Menschenmassen stürzen in eine tiefe schwarze Spalte und in einem feurigen Rot fließen Lavaströme auf diese Menschen zu. Ist die Aufmerksamkeit – und ein leichter Grusel – geweckt, geht es an das Lesen des fast 600 Seiten starken Bands.

Der erste Eindruck ist positiv. Die Geschichten der ausgewählten Katastrophen (etwa die Pestwellen in Europa, Hungersnöte in der Sowjetunion und in China) sind gut erzählt. Ferguson bringt sehr viel Hintergrundwissen und Einzelheiten zu den einzelnen Ereignissen mit. Manchmal hat man jedoch den Eindruck, die Menge an wirtschaftsgeschichtlichen Daten – Ferguson ist vornehmlich Wirtschaftshistoriker – lassen den Lesefluss ins Stocken geraten. Nichtsdestotrotz, die Geschichte der historischen Katastrophen ist eingängig erzählt, man kann sich einen guten Überblick von der Antike bis heute verschaffen.

Interessant zu lesen sind unter anderem die antiken Berichte des Thukydides, der über eine Epidemie zur Zeit des Peloponnesischen Kriegs berichtet. Erstaunlich ist, dass sich in den letzten 2500 Jahren im Blick auf den Umgang mit Epidemien und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft nicht viel geändert hat. Einen breiten Raum nimmt die Frage ein, wie Gesellschaften mit Katastrophen umgehen. Gerade im historischen Längsschnitt nennt der Autor interessante Beobachtungen, wie die extremen ideologischen und religiösen Deutungen des Unglücks.

Allerdings verwundert Fergusons Eintreten für die Theorie, der »Mittelbau« sei schuld an dem schlechten Management der Katastrophen in der Neuzeit. Natürlich versage auch die Führung, aber der Knackpunkt liege in der Mitte. Er bezieht sich dabei auf eine These von Richard Feynman, der anhand des Challenger-Unglücks von 1986 festgestellt habe, dass Personen im mittleren Management durch ihre Ignoranz das Unglück hervorgerufen hätten. Auch bei der schlechten Seuchenbekämpfung in den USA sei es das dilettantische Vorgehen unterschiedlicher Behörden gewesen, das die Epidemie erst unbeherrschbar machte, so Ferguson.

Derartige monokausale Erklärungen sind äußerst fragwürdig: Ist es nicht eher so, dass gerade das obere Management gern den unteren Ebenen die Schuld für Fehlentscheidungen in die Schuhe schiebt? Oder dass die obere Ebene mit realitätsfernen Vorstellungen und Forderungen der mittleren Ebene ein ständiges Damoklesschwert über den Arbeitsplatz hängt? Wenn man, wie Ferguson, im Jahr 2004 zu den 100 einflussreichsten Menschen der Gegenwart gezählt wird, scheint die Lösung, die Verantwortung für miserables Management dem Mittelbau in die Schuhe zu schieben, eine gewisse logische Konsequenz zu haben.

Was weiterhin verwundert, ist die Fixierung des Autors auf einen neuen kalten (Handels-)Krieg zwischen den USA und China. Momentan scheint zwar alles auf eine solche Konfrontation hinzudeuten, doch die Schlussfolgerung, ein »zweiter kalter Krieg« sei wünschenswert, weil er die USA aus ihrer Selbstzufriedenheit reiße, ist doch ethisch gesehen sehr bedenklich.

Im Untertitel verspricht Fergusons Buch einige Lehren für die Zukunft, die sich aus den großen Katastrophen gewinnen lassen. Leider bleiben die ethischen Aspekte solcher Lehren im Verborgenen. Gerade das wäre aber die spannende Frage: Welche Ethik müsste die Menschheit entwickeln, um in Zukunft gegen weltweite Katastrophen gewappnet zu sein? Wenn wir bereit sind, aus Katastrophen etwas zu lernen, dann wäre das der richtige Ansatzpunkt.

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