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»Drecksarbeit«: Die Wunder zu unseren Füßen

Dieses Buch ist ein bildgewaltiges Plädoyer für die Unterwelt: Es zeigt die lebendige Vielfalt des Bodens, die zunehmend bedroht ist.

Es heißt oft, über die Tiefsee wüssten wir weniger als über das Weltall. Doch es gibt einen Bereich, der noch viel näher liegt und der zumindest den meisten Menschen ähnlich unbekannt sein dürfte: »Der Mikrokosmos unter unseren Füßen«. So lautet denn auch der Untertitel des großformatigen Buchs »Drecksarbeit« – eine Mischung aus Sachbuch und Bildband. Es ist entstanden als Zusammenarbeit der Wissenschaftsautoren Veronika Straaß und Claus-Peter Lieckfeld sowie der Naturfotografen Nicole Ottawa und Oliver Meckes. Mit faszinierenden Bildern und erstaunlichen Fakten ist das Team angetreten, dem Bodenleben mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn nur das, was man kennt, kann man schützen – und der Boden mit seiner Artenvielfalt benötigt diesen Schutz dringend.

Aufgebaut ist das Buch sehr systematisch. Zunächst ordnen die Autoren die Dimensionen des »Mikrokosmos unter unseren Füßen«. Da sind die kleinsten Lebewesen, die für das bloße Auge unsichtbaren Bakterien, von denen es unter jedem Quadratmeter Boden zig Billionen Exemplare gibt; und die größten, die mehrere Zentimeter langen Regenwürmer und Schnecken, die es immerhin noch auf gut 100 beziehungsweise 50 Tiere pro Quadratmeter bringen. Schon in der Einleitung erfährt der Leser, welch großen Anteil all diese Wesen daran haben, dass Humus entsteht, und wie wichtig diese Ökosystemleistung für uns Menschen ist.

In zehn Kapiteln stellen die Autoren die unterschiedlichen Gruppen von Bodenlebewesen vor – von Pilzen über Springschwänze bis zu Fadenwürmern. Jeder Gruppe sind neben einem Fließtext, der in mehreren Abschnitten zunächst Grundlegendes und dann weitere Details präsentiert, ein Steckbrief und ausführliche Bildunterschriften gewidmet. Vereinzelt finden sich Verweise auf weiterführende Literatur, sonst verzichtet das Buch weitgehend auf Quellenangaben.

Gelesen ist jedes der kurzweiligen Kapitel in wenigen Minuten. Das Studium der prächtigen Fotografien kann hingegen deutlich länger dauern. Nicht nur die Makroaufnahmen, sondern vor allem die kolorierten elektronenmikroskopischen Bilder enthüllen unzählige Details und Geometrien, die dem bloßen Auge sonst nicht zugänglich sind. Schon das Bärtierchen auf dem Buchumschlag gibt einen ersten Eindruck: Mit seinem Minirüssel und den kleinen Äuglein wirkt es putzig, ein bisschen wie ein Urzeitverwandter eines sechsbeinigen Nacktschweins – und dann auch wieder nicht. Stets verleiten die Großaufnahmen dazu, Parallelen in der makroskopischen Welt zu suchen, die am Ende doch nie ganz passen – darin liegt ebenfalls die Faszination dieser Bilder. Einer Raubmilbe mit ihren acht stacheligen, krabbenartigen Beinen und den scherenartigen Kieferklauen würde man nicht begegnen wollen, betrüge ihre Länge nicht einen Millimeter, sondern einen Meter.

Der Klang der Regenwürmer

Keineswegs aber sollte man sich von den tollen Aufnahmen dazu verleiten lassen, einfach durch das Buch zu blättern und die Texte zu überspringen. Dann würde einem etwa entgehen, dass Pilze miteinander sprechen: »Ähnlich wie Nervenzellen sind Pilze offenbar in der Lage, mit Hilfe elektrischer Signale miteinander zu kommunizieren – und verfügen dabei sogar über eine Art Sprache mit unterschiedlich großem Wortschatz.« Um Sprache geht es auch an anderer Stelle, wenn die Autoren von einem Projekt erzählen, das in extremer Verstärkung die Geräusche im Boden hörbar macht. Wie es wohl klingt, wenn sich ein Regenwurm durchs Erdreich frisst oder eine Assel durch ihre Kiemen atmet?

Das Kapitel über die Milben veranschaulicht gut die inhaltliche Leistung des Buchs. Zunächst finden sich hier eher bekannte Informationen, etwa die Zugehörigkeit zu den Spinnentieren und der Anteil der Varroamilben am Bienensterben. Aber wer weiß schon, dass Milben einen so unangenehmen Duft erzeugen können, dass vielfach größere Käfer lieber Reißaus nehmen statt sie zu fressen? Oder dass Milben mit ihren Klauen die 1180-fache Zugkraft ihres eigenen Körpergewichts halten können? Zum Vergleich: Der menschliche Rekord liegt beim 1,12-Fachen. Manchmal geht es im Buch auch sehr plastisch zu, etwa beim Jagdverhalten der Raubmilben: »Sie ertasten ihre Beute mit den Vorderbeinen, schneiden sie mit den scherenartigen gezähnten Kieferklauen blitzschnell an, spritzen Verdauungssaft in die Wunde, kneten das Opfer gründlich durch und saugen dann das verflüssigte, vorverdaute Innere nach Spinnenart ein.«

Zwei eher kurze, textlastige Kapitel runden das Buch ab. Darin zeigen die Autoren auf, wie vor allem die industrielle Landwirtschaft heute das Bodenleben bedroht, aber auch, welche positiven Alternativmethoden schon jetzt angewandt werden, um Landwirtschaft und unterirdische Artenvielfalt in Einklang zu bringen.

Das Buch ist eine unbedingte Leseempfehlung und sicher auch ein für viele Menschen passendes Geschenk. Für Laien ist es durchweg ein spannendes Erlebnis, und selbst Bodenökologen dürften sich an den außergewöhnlichen Aufnahmen erfreuen und den Texten das eine oder andere unbekannte Detail entnehmen können.

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