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Keine Etikette

Gähnen, Niesen, Lachen, Rülpsen: Wir legen allerlei seltsame Verhaltensweisen an den Tag – unwillkürlich und, je nach kulturellem Hintergrund, nur eingeschränkt gesellschaftsfähig. Doch sind diese Äußerungen allesamt zutiefst menschlich und für Robert R. Provine, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der University of Maryland, allemal interessant genug, um sie ein Leben lang zu erforschen. Selbst in der Freizeit sowie im familiären Umfeld legt Provine sich auf die Lauer, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. So nimmt er den Schluckauf der Klavierschülerinnen seiner Frau auf, wagt Selbstexperimente mit Schnupftabak oder ermuntert seine Mitmenschen, das Gähnen mit geschlossener Nase zu probieren.

Auf derart solider empirischer Basis ist "Ein seltsames Wesen" weit mehr als Kuriosum: Provine analysiert unsere unfeinen Äußerungen in dem Buch sehr detailliert und stützt sich dabei auf eine beachtliche Menge wissenschaftlicher Untersuchungen sowie persönliche Erlebnisse.

Das Buch sorgt für manchen Aha-Effekt. So lernt der Leser, Lachen sei "kein stimmliches Mittel, um Spannungen abzubauen, die Gesundheit zu verbessern oder den Scharfsinn des Tischnachbarn beim Abendessen anzuerkennen". Vielmehr habe es sich aus dem Spielen entwickelt, dem mehr oder weniger alle Säugetiere frönen. Dass es beim Menschen wie ein Stakkato klinge und nicht etwa wie das Hecheln eines Schimpansen, sei dem aufrechten Gang geschuldet. Der Brustkorb verfüge bei Zweibeinern über mehr Flexibilität, und das erlaube es, Atmung, Laufen und Lautäußerung unabhängiger voneinander zu koordinieren. Zum Sinn des Lachens schreibt Provine allerdings nur: "Lachen fühlt sich gut an. Reicht das nicht?"

Dem Schluckauf ausgeliefert

An anderer Stelle erfährt man, dass Gähnen – ebenso wie Schluckauf – unwillkürlich erfolge, aber dennoch einer gewissen sozialen Kontrolle unterliege. So lassen sich Menschen, die sich beobachtet fühlen – etwa das Studiopublikum einer Fernsehshow – weniger leicht vom Gähnen anderer anstecken. Und besagte Klavierschülerinnen hörten umgehend auf zu hicksen, wenn Provine mit dem Aufnahmegerät erschien. "Wenn das Alte und das Neue, das Unbewusste und das Bewusste, um die Ausdruckskanäle des Gehirns konkurrieren, behält der modernere, bewusste Mechanismus häufig die Oberhand und unterdrückt – ob beim Schluckauf oder beim Gähnen – den älteren unbewussten Rivalen", schreibt der Autor dazu. Doch warum kann man beides kaum willkürlich kontrollieren? Und wofür sind Hicksen und Gähnen gut? Auf diese Fragen gibt Provine leider keine Antwort.

Überraschen, ausführlich beschreiben, aber am Ende nichts wirklich auflösen – dieses Schema prägt leider weite Stecken des Buchs. So zieht der Autor verblüffende Parallelen zwischen Gähnen, Niesen und einem Orgasmus. Der Gesichtsausdruck beim sexuellen Höhepunkt soll ihm zufolge an den vor einem Niesen oder Gähnen erinnern. Und bei allen dreien lasse "ein interruptus einen unbefriedigten Menschen zurück". Die Erklärung, ob, wie und warum alle drei biologisch zusammenhängen, bleibt Provine jedoch schuldig. Soviel zu "unbefriedigt".

Natürlich steht es einem Wissenschaftler gut zu Gesicht, wenn er bei seinem Behauptungen, Interpretationen und Schlussfolgerungen ein wenig Zurückhaltung übt. Doch Provine lässt hier definitiv zu viel Vorsicht walten. Zudem wirken die vielen Studien und ausführlichen Beschreibungen, die er aneinanderreiht, doch manchmal etwas langatmig. Gelegentlich wünscht man sich beim Lesen, der Autor möge die Sache doch endlich auflösen und bitte auf den Punkt kommen – zum Höhepunkt sozusagen.

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