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»Eine Demokratie für das 21. Jahrhundert«: Ein Plädoyer für die direkte Demokratie

Die repräsentative Demokratie ist nicht mehr zeitgemäß, meint Andreas Urs Sommer und liefert Argumente für eine größere Beteiligung der Bevölkerung.
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Vertritt die moderne repräsentative Demokratie wirklich die Interessen der Bevölkerung? Andreas Urs Sommer, Professor für Philosophie an der Universität Freiburg im Breisgau, schließt sich der verbreiteten Auffassung an, dass die politischen Eliten und Experten diesem Anspruch nicht gerecht werden: Die Demokratie steckt in einer gefährlichen Krise, weil sich die Menschen nicht beteiligt fühlen.

Daher plädiert er für direkte Demokratie mit Volksabstimmungen wie in der Schweiz. Aber kann die Schweiz ein Modell für große Demokratien sein, in denen doch höchstens die gebildeten Eliten die Kompetenz haben, das Gemeinwohl zu erkennen? Doch für Sommer gibt es kein Gemeinwohl, das die vielfältigen Interessen der Bevölkerung berücksichtigt. Auch Experten vertreten nur die Interessen ihres Fachgebiets. Einen Überblick haben sie nicht, geschweige denn dass ihre Expertisen der Vielfalt der Menschen gerecht werden.

Das kann niemand, auch nicht die Politiker, die vielmehr Angst vor der angeblich ungebildeten Bevölkerung haben, die doch nur linken oder rechten Demagogen nachlaufen würde. Nur sind die Nazis nicht durch Volksabstimmungen an die Macht gekommen, sondern durch repräsentative Wahlen, hat es in der Weimarer Republik überhaupt nur zwei republikweite Volksabstimmungen gegeben.

Sommer will nicht die Regierungen abschaffen. Aber alle erlassenen Gesetze sollen durch Volksabstimmungen gestoppt werden können, wie auch Initiativen Gesetzesvorschläge zur Volksabstimmung einbringen dürfen. Würde das indes nicht die Regierungstätigkeit extrem verlangsamen, just wenn es dringend ist? So taucht bei besorgten Klimaaktivisten schon mal der Ruf auf: Mehr Diktatur wagen!

Für Sommer besteht der Sinn der Demokratie aber nicht darin, eilig zu politischen Entscheidungen zu kommen, sondern in der Partizipation der Bevölkerung an der Politik. Nur dann verkörpert der Staat deren Gemeinwesen. Daher ist das Gebot nicht Schnelligkeit, sondern dass sich die Menschen in die Politik einbringen können. In der Schweiz hat es in den 1970ern lange Jahre gedauert und unzählige Volksabstimmungen gebraucht, bis sich der Kanton Jura bildete.

Aber haben die Menschen denn genug Wissen, um bei Volksabstimmungen selbst zu entscheiden? Werden sie sich nicht von Demagogen oder Parteien leiten lassen? Doch erstens ist für politische Urteile keineswegs eine höhere Bildung nötig. Zweitens urteilen die Menschen über Sachfragen häufig anders als die Parteien, mit denen sie sympathisieren.

Wer politisch abstimmen will, wird sich Gedanken machen, so dass direkte Demokratie auch die Bildung der Menschen fördert. Das strahlt noch in das individuelle Leben hinein und bereichert es. Daher lebt der engagierte Mensch auch jenseits der Politik durch politische Beteiligung bewusster.

Klinkt sich Sommer damit nicht in die Forderung der Rechten nach Volksabstimmungen ein? Nein, diesen geht es um Einheit. Sommer erwartet dagegen, dass durch Volksabstimmungen die Staaten pluralistischer werden. Und wenn eine Mehrheit für die Todesstrafe stimmt? Die Gerichte werden verfassungsfeindliche Initiativen stoppen.

Sommers Resümee lautet daher: Wenn die Krise der Demokratie überwunden werden soll, dann kann das nur durch die Beteiligung der Menschen verwirklicht werden. »Die Frage ist (. . .) ob es eine Zukunft der Demokratie in einem ernsthaften Sinn des Wortes ohne allgemeine Verschweizerung geben kann.«

Das Buch ist brillant geschrieben, steckt voller Ironie und vor allem guter Argumente: sehr empfehlenswert.

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