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»Einstein«: Der Traum von einer Theorie

Albert Einstein revolutionierte die theoretische Physik gleich mehrfach. Diese Leistung ist in der Wissenschaftsgeschichte ohne Beispiel. Wer war dieser Mensch?

In einem Film mit den Komikern Stan Laurel und Oliver Hardy verwandelt ein Schlag auf den Kopf Stan, den notorischen Tölpel, in einen geistigen Überflieger. Als Albert Einstein anfragen lässt, ob Stan ihm bei einer neuen Theorie weiterhelfen könnte, lädt Stan ihn großzügig zu Biskuits und Tee ein.

Der Gag aus dem Jahr 1940 lebt von Einsteins Aura als Naturforscher, der in aller Welt dafür verehrt wird, eine für Normalsterbliche unverständliche, aber bahnbrechende Theorie von Schwerkraft, Raum und Zeit erdacht zu haben. Einstein wurde zum Synonym des genialen Theoretikers, so wie Picasso zum Inbegriff des modernen Künstlers, Charlie Chaplin zum Nonplusultra eines Filmstars oder Miles Davis zur Ikone des modernen Jazz. Gemeinsam ist solch großen Gestalten, dass sie ihr Metier im Lauf eines Lebens mehrmals grundlegend erneuert haben. Einstein erhielt den Nobelpreis 1921 für seine Erklärung des photoelektrischen Effekts, womit er im Jahr 1905 erstmals die Quantennatur des Lichts als physikalische Realität anerkannt hatte.

In jenem »annus mirabilis« (Wunderjahr) 1905 hatte er obendrein in weiteren Arbeiten die seinerzeit noch durchaus strittige Atomhypothese zur Erklärung physikalischer Phänomene benutzt. Vor allem aber hatte er im selben Jahr mit dem Artikel »Zur Elektrodynamik bewegter Körper« seine spezielle Relativitätstheorie begründet. Als Einstein 16 Jahre später mit dem Nobelpreis geehrt wurde, lag nicht nur seine Erweiterung der speziellen zur allgemeinen Relativitätstheorie vor, sondern seit 1919 sogar deren experimentelle Bestätigung durch die Ablenkung von Sternenlicht im Schwerefeld der Sonne.

Diese Serie umwälzender Erkenntnisse machte Einstein nicht nur in der Welt der Physik berühmt, sondern auch zum Medienphänomen. In idealer Weise verkörperte er den Typus des versponnenen Denkers, der bloß Papier und Bleistift benötigt, um neue Theorien auszuhecken, sich dazwischen mit Violinspiel entspannt, Krawatten und Socken verabscheut und den ungebärdigen Haarschopf je nach Wetter mit Strohhut oder Pudelmütze krönt.

So wurde Einstein zum Star. Aber was für ein Mensch steckte hinter der öffentlichen Figur? Im Lauf der Zeit erschienen zahlreiche Biografien. Unter den auf Deutsch veröffentlichten Büchern sind die von Albrecht Fölsing (1995) und von Jürgen Neffe (2005) hervorzuheben. Das hier vorgestellte Werk des US-Journalisten Walter Isaacson ist im Original 2007 erschienen. Man darf vermuten, dass der enorme Erfolg des Films »Oppenheimer« von Christopher Nolan den Anstoß zur aktuellen Übersetzung gab: Theoretische Physiker sind in.

Ein heiteres Genie

Anders als Fölsing und Neffe ist Isaacson nicht vom Fach; aber er hat sich, wie die mehrseitige Danksagung belegt, ausgiebig Rat geholt. Tatsächlich wird die Physik solide dargestellt. Seltene Schnitzer fallen nicht ins Gewicht (bei Newton nimmt die Schwerkraft nicht umgekehrt proportional zur Entfernung, sondern zu deren Quadrat ab, und Elektrizität wandert nicht lichtschnell durch einen Draht, sondern viel langsamer).

Fair wird die unglückliche erste Ehe mit der serbischen Physikstudentin Mileva Marić wiedergegeben. Einstein fand in ihr eine geistesverwandte Geliebte, die allerdings, sei es wegen geringerer Begabung oder akademischer Diskriminierung als Frau, hinter ihm zurückblieb. Aus der anfangs lebhaften Korrespondenz über Einsteins Ideen, wobei er gelegentlich von »unserer Theorie« schrieb, lässt sich nicht folgern, dass die Gefährtin, wie gelegentlich vermutet, etwas Nennenswertes beigetragen hat.

Bis zur Mitte des Buchs hat der Autor Einsteins Umwälzung der Ideen von Raum, Zeit und Gravitation größtenteils abgehandelt. Dennoch ist die zweite Hälfte nicht weniger interessant. Hier tritt die öffentliche Person mehr in den Vordergrund. Sein Leben lang verhielt sich Einstein strikt antiautoritär – nicht nur in physikalischen Belangen oder mit Blick auf die Kleidungsetikette, sondern auch politisch. Er verabscheute den Nationalismus und die Kriegstreiberei, relativierte seinen anfangs radikalen Pazifismus aber angesichts des erstarkenden Faschismus, der ihn als Juden in die Emigration nach USA trieb. Dort reagierte er, selbst so etwas wie ein demokratischer Sozialist, später äußerst polemisch auf die Hexenjagd der McCarthy-Ära.

Physikalisch blieb Einstein bis zum letzten Atemzug aktiv. Vergeblich suchte er hinter den Wahrscheinlichkeitsaussagen der Quantenphysik nach einer tieferen deterministischen Theorie. Seine hartnäckigen Einwände trugen aber dazu bei, das Phänomen der Verschränkung zu präzisieren, aus dem vielleicht bald Quantencomputer hervorgehen werden. Gegen Ende seines Lebens strebte Einstein nach der Synthese aller Phänomene in einer einheitlichen Feldtheorie; sie sollte die Materieteilchen als Knoten eines allumfassenden Felds darstellen. Dieses Anliegen war allein schon angesichts des rapide wachsenden Teilchenzoos zum Scheitern verurteilt.

Trotzdem hat Isaacsons Biografie kein tragisches Finale. Wir dürfen uns Einstein als heiteres Genie vorstellen.

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