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Buchkritik zu »Einstein«

Es ist nicht zu übersehen: 2005 ist das Einsteinjahr. Hundert Jahre, nachdem die Spezielle Relativitätstheorie veröffentlicht wurde, und fünfzig Jahre nach dem Tode Albert Einsteins (1879 – 1955) überbieten sich die Buchläden mit Einstein-Tischen, zahlreiche Fernsehsendungen beschäftigen sich mit dem wohl berühmtesten Wissenschaftler, und selbst das Kundenmagazin der Deutschen Bahn widmete ihm im Februar zwölf Seiten. Wer war der Mann, der als Weltbürger und Querdenker, Pazifist und zugleich geistiger Vater des amerikanischen Atombombenprogramms gilt?

Frappierend und fesselnd zugleich ist der Einstieg, den Jürgen Neffe wählt: Während der Obduktion Einsteins stiehlt der Pathologe Thomas Harvey dessen Gehirn. Etwas detailgenauer, als dem Leser lieb ist, beschreibt der Autor in der Einleitung das kuriose Schicksal des Organs. Nach wenigen Seiten wird allerdings deutlich: Es ist absurd, einen Menschen über seine Biologie verstehen zu wollen. Der Schlüssel dazu liegt vielmehr in seiner Biografie.

Nach diesem gelungenen Auftakt wird der Leser in den folgenden Kapiteln nicht enttäuscht. Im Gegenteil, der langjährige "Geo"- und "Spiegel"-Autor Neffe erzählt die Lebensgeschichte Einsteins ausgesprochen spannend, mit dem Schwerpunkt eher auf dem Menschen als auf dem Physiker. Intelligente Kommentare in schönen Sätzen, angereichert mit zahlreichen Zitaten, machen die Lektüre zum Vergnügen. Gegliedert ist der Text eher thematisch als zeitlich, wodurch die verschiedenen Facetten des Physikgenies besonders anschaulich werden. So ist das Buch weit mehr als eine reine Nacherzählung von Lebensdaten, sondern lässt beim Leser den Menschen Einstein lebendig werden.

In manchen Kapiteln nimmt Neffe, der selbst am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin arbeitet, seine Leser mit auf die Forschungsreisen eines Wissenschaftshistorikers. Im Einsteinarchiv der Hebrew University in Jerusalem oder an seiner letzten Wirkungsstätte in Princeton versuchen Forscher heute das Leben des großen Physikers zu enträtseln. Wie hat sich 1914 der damals 35-Jährige zur Allgemeinen Relativitätstheorie durchgekämpft? Gibt es aus den zahlreichen Affären des Physikers doch noch Nachkommen, deren Existenz verschleiert werden sollte? Vermutlich werden sich nicht mehr alle Fragen klären lassen.

Einstein war nicht nur derjenige, der das Theoriengebäude der Physik des 19. Jahrhunderts radikal umbaute, sondern auch ein Frauenheld, Ehemann, Vater und lebenslang ein Kind. Er war auf seine eigene Weise religiös und bekam den Judenhass in der Weimarer Republik zu spüren. Er emigrierte 1933 in die USA, wo er 1939 jenen verhängnisvollen Brief an Präsident Roosevelt mit unterzeichnete, der heute als Auslöser für den Bau der ersten Atombombe gilt. Seine pazifistische Überzeugung verlor er jedoch nicht: "Eine übernationale Regierung scheint die einzige Alternative", sagte er angesichts des auch von ihm vorausgesehenen und befürchteten atomaren Wettrüstens. Albert Einsteins Leben war ebenso ertragreich wie tragisch.

Was gibt es zu kritisieren an Neffes Werk, an dem sich zukünftige Biografien messen werden müssen? Lediglich zwei Punkte. In dem genau recherchierten Buch fehlt eine Zeittafel mit den wichtigsten biografischen Eckdaten. Und auf Seite 165 versucht sich Neffe an einer Erklärung des Zwillingsparadoxons – und scheitert daran. Was er schreibt, ist zwar nicht falsch, erklärt aber nicht, warum ein Raumfahrer nach seiner Rückkunft weniger gealtert ist als sein daheim gebliebener Zwillingsbruder. Neffes Argument ist nichts weiter als eine schöne Erklärung der Zeitdilatation und darum sowohl auf den Raumfahrer als auch auf seinen Bruder anwendbar. In dieser Symmetrie liegt jedoch das eigentlich Paradoxe. Der auflösende Hinweis, dass nur der Raumfahrer beschleunigen und bremsen muss, fehlt. Mit einem Schmunzeln liest man da auf der Umschlaghülle, dass der Autor sein Physikstudium zu Gunsten der Biologie abgebrochen hat.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2005

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