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Emotionale Analyse

Der tropische Regenwald ist in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Er ist der vielleicht größte Biodiversitätspool der Erde, zentrale Station planetarer Kreisläufe und ein Raum pulsierenden Lebens voller Wunder und Geheimnisse. Claude Martin, Biologe und Umweltaktivist, will mit seinem Buch bewusst machen, dass dieser Lebensraum nicht einfach ökonomischen Zwängen geopfert werden darf – genau das aber bevorsteht. Noch ist das Schicksal der Tropenwälder nicht besiegelt, doch die kommenden Jahrzehnte werden laut Martin über ihr Sein oder Nichtsein entscheiden.

"Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen voraus." Eingeleitet mit diesem Zitat Alexander von Humboldts widmet der Autor und langjährige Generaldirektor des WWF International den ersten Teil seines Buchs dem derzeitigen Wissensstand über die tropischen Regenwälder. Er beschreibt, wie sie ins Visier der Industrie gerieten und wie Wissenschaftler den Raubbau an ihnen ab den 1970er Jahren ins öffentliche Bewusstsein rückten. Lange Zeit, schreibt Martin, habe man die Flächenausdehnung des Regenwalds nur grob schätzen können, bis endlich Fernerkundungstechnologien genauere Analysen ermöglichten. Immer schon problematisch sei das Wirrwarr an einschlägigen Begriffen gewesen. So gebe es mehr als 1500 Definitionen für Wald und Waldland, von denen fast 100 international gebräuchlich seien.

Raubbau von allen Seiten

Nach einem Überblick über diverse Waldschutzprogramme, die mal mehr und mal weniger erfolgreich waren, geht Martin auf die Ursachen für Entwaldung und Degradierung der tropischen Regenwälder ein. Dabei behandelt er unter anderem den Brandrodungsfeldbau, den Holzeinschlag, die Ölpalmen-Monokulturen und die Biodieselproduktion. Dazu kommen die ineffiziente Rinderhaltung auf Regenwaldböden sowie der Anbau von Futtersoja, um den wachsenden Fleischhunger zu decken. Diese Entwicklungen seien bislang vor allem von exportgetriebenen Industrien vorangetrieben worden, bilanziert Martin. Mit der fortschreitenden Verstädterung der Tropenländer und des vor Ort steigenden Konsums nähmen sie noch einmal an Fahrt auf.

Am Beispiel von Brasilien, dem Hauptanbauland für Soja, zeigt der Autor in diesem Zusammenhang, was die Gesellschaft erreichen kann, wenn sie nur will. Öffentliche Proteste erzwangen dort eine Abkehr von der zuvor auf Profit fixierten, destruktiven Wirtschaftsweise. Vielleicht sei das auch in anderen bedrohten Regenwaldregionen vorstellbar, hofft Martin. In dem Zusammenhang geht er auf vielversprechende Aufforstungsprogramme und Forstmanagementsysteme ein und fragt, ob sie ausreichen, die Regenwälder zu retten. Von Bedeutung sei das nicht zuletzt wegen deren zentraler Rolle im Klimageschehen. Schon jetzt führe der Klimawandel weltweit zu immer mehr Wetterextremen.

Martin prognostiziert, dass bis 2050 weitere elf bis vierzehn Prozent des tropischen Regenwalds verschwinden werden. Er ist überzeugt: Die größten Gefahren für diesen Lebensraum erwachsen aus einer verhängnisvollen Kombination von Waldfragmentierung und -degradierung einerseits und der Klimaerwärmung mit Dürren und Bränden andererseits. Um wenigstens noch die verbleibenden Regenwaldbestände zu bewahren, spricht der Autor am Ende seines Buchs eine Reihe an konkreten Empfehlungen aus, von Naturschutzmaßnahmen über eine vereinheitlichte Fernerkundungsüberwachung bis hin zur Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen.

Keine leichte Kost

So wie man sich bei Regenwald-Expeditionen durch den Dschungel kämpfen muss, so auch bei der Lektüre durch viele Passagen dieses rund 350 Seiten starken Werks. Leser mit entsprechenden Vorkenntnissen haben es dabei deutlich leichter, etwa angesichts der immer länger werdenden Liste der vorgestellten Studien und Organisationen. Deren komplette Namen und Abkürzungen (etwa ITTO für "International Tropical Timber Organisation", oder REDD für "Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation") führt der Autor zwar im Glossar auf. Ihre Fülle bremst trotzdem zwangsläufig den Lesefluss. Ähnlich ist es bei manchen Grafiken und technischen Details, die sich dem Laien erst nach einigem Grübeln erschließen.

"Endspiel" ist eindeutig ein Fachbuch. Aber es macht auch Martins persönliche Begeisterung für den Regenwald spürbar – und seine Betroffenheit angesichts dessen Verlusts. Das Werk überzeugt inhaltlich und ebenso optisch, indem zahlreiche eindrucksvolle Farbfotos sowie historische Holzschnitte den Text bebildern. Eine Zustimmung, die andere teilen: Die internationale gemeinnützige Expertenorganisation "The Club of Rome", die sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt, nahm Martins Buch als Bericht über den Zustand der Tropenwälder an.

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