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»Expedition ins Sternenmeer«: Quo vadis, Homo spaciens?

Der Philosoph Harald Zaun hat in »Expedition ins Sternenmeer« 23 spannende Beiträge über Perspektiven, Chancen und Risiken einer interstellaren Raumfahrt gesammelt. Eine Rezension
Eine »Crew Dragon« von der ISS aus gesehen

Der Blick in unsere Zukunft zeigt angesichts der derzeitigen sozialen, politischen und ökologischen Lage kein rosiges Bild. So verwundert es kaum, dass einige das künftige Heil unserer Spezies im Weltraum suchen. Sei es nun Eskapismus angesichts der Klimakatastrophe oder Wunschdenken eines in die Gegenwart verlängerten Entdeckerfiebers: Bemannte Raumfahrt hat – spätestens seit Juri Gagarin 1961 als erster Mensch den Weltraum bereist hat und Neil Armstrong 1969 den Mond – den Sprung aus der Sciencefiction in Technik und Wissenschaften geschafft und schreitet unermüdlich voran.

23 Perspektiven zur interstellaren Raumfahrt

Im Sammelband »Expedition ins Sternenmeer« trägt der Philosoph Harald Zaun nun 23 solcher Perspektiven auf das Thema zusammen. Die Bandbreite reicht dabei von der Raumfahrttechnik über Astronomie und Kosmologie bis hin zu philosophischen, soziologischen, medizinischen und informationstechnologischen Betrachtungen. Die Autoren diskutieren dabei Ideen der Sciencefiction ebenso wie konkrete historische und aktuelle Raumfahrtprojekte.

Sie sind in Anbetracht der Möglichkeiten und Grenzen der Raumfahrt sowohl kritisch als auch hoffnungsvoll. Ein Faktor ist die physiologische und psychologische Beschaffenheit des Menschen: In einem Beitrag werden medizinische Berichte vergangener Missionen ausgewertet, um auf die negativen Auswirkungen von Schwerelosigkeit, kosmischer Strahlung, aber auch Isolation von der Erde, Beengtheit in der Raumkapsel und fehlender Privatsphäre hinzuweisen, die, je länger die Raumfahrten andauerten, umso problematischer wurden. Eine Alternative wäre die Entsendung von KI-Robotern, die an unserer Statt reisen, oder von Nanosonden, wie im »Project Starshot« des Milliardärs Juri Milner, bei dem sich Tausende winziger Flugkörper mit Photonenantrieb in Richtung Proxima Centauri bewegen sollen.

Eine Alternative wären Generationenschiffe, in denen die Menschheit Jahrhunderte unterwegs sein könnte. Gerade dieser Ansatz offenbart, worin ein anderes grundsätzliches Problem der interstellaren Raumfahrt liegt: Die Distanzen erlauben es kaum, dass ein Mensch in seiner Lebenszeit mit realistischen Antriebstechnologien ans Ziel gelangt. Umso erstaunlicher ist die selbstlose Motivation, mit der solche Konzepte erdacht werden. Aber wie müssen Raumschiffe gebaut werden, damit sie für mehrere Generationen Platz bieten? Und welche sozialpsychologischen Aspekte muss man dabei berücksichtigen? Auch solchen Fragen widmen sich die Autoren.

Die unermessliche Größe des Weltraums setzt natürlich ganz andere Grenzen. Da wäre zunächst das Problem der Distanzen und Geschwindigkeiten, das in einem Beitrag mit Hilfe der Relativitätstheorie verständlich erläutert wird. Die bereits 1903 von Konstantin Ziolkowski publizierte Raketengleichung, die das Verhältnis von transportierter Masse, Treibstoffmenge, Fluchtgeschwindigkeit und Gravitation beschreibt, wird häufig als Anfangsproblem genannt: Je weiter man fliegen will, desto mehr Treibstoff wird benötigt, umso schlechter fällt das Verhältnis zur transportierten Nutzlast aus und so weiter.

Man müsste also Abkürzungen, die ein Autor in Wurmlöchern sieht, oder alternative Antriebe finden. Ein Kapitel stellt solche vor und fragt, welcher Ansatz am besten dazu geeignet wäre, ein 1000 Tonnen schweres Raumschiff auf 500 Kilometer pro Sekunde zu beschleunigen: Nuklearantrieb? Fusionsantrieb? Antimaterieantrieb oder – wie bei »Starshot« – Licht- und Lasersegler? Vielleicht wäre es sinnvoller, sich nahe Ziele zu suchen? Der Mars rückt in einem Beitrag hierzu in den Fokus; nicht zuletzt, weil ein anderer Milliardär sich unserem roten Nachbarplaneten nähern will.

Dass der Mars bereist werden sollte, steht in einem Beitrag schon deshalb außer Frage, weil sich nur so das Rätsel endgültig klären lasse, ob es dort Leben gab. Nach der Kolonisation anderer Planeten stellt die Suche nach außerirdischem Leben nämlich die zweite große Motivation für die Autoren dar. Vielleicht waren Außerirdische ja schon bei uns? Das Auftauchen des 'Oumuamua-Asteroiden hat hier neuerlich Anlass zu Spekulationen gegeben. So genannte Bracewell-Sonden (wie Voyager 1 und 2) tragen bereits jetzt Informationen über die Menschheit in die Ferne, um möglicherweise einen Kontakt anzubahnen. Doch was, wenn wir tatsächlich auf Außerirdische treffen? Wie verständigen wir uns? Wie wird unser Verhältnis zueinander sein? Werden wir es mit biologischen Wesen zu tun bekommen (oder sind die Abgesandten der Erde bis dahin vielleicht künstliche Astronauten)? Auch das sind Themen mehrerer Beiträge.

In dem Buch treffen wissenschaftliche Fundierung und fiktionale Gedankenwelt aufs Fruchtbarste aufeinander. Sciencefiction-Geschichten, -Romane und -TV-Serien werden deshalb immer wieder als Vergleich herangezogen. Doch man könnte auch die Beiträge als hervorragende Grundlage für eigene oder als Maßstab für fremde Weltraumutopien heranziehen. So oder so erfährt man viel über den »Homo spaciens« auf seinem räumlichen, zeitlichen und intellektuellen Weg zum »Homo galactius«, was in solcher Detailliertheit zuvor kaum in einer populärwissenschaftlichen Veröffentlichung zu finden war.

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