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Facebook von Nahem

Der Journalist Steven Levy erzählt die Geschichte von Facebook und seinem Gründer Mark Zuckerberg.

Facebook ist mit 2,9 Milliarden Nutzern die größte Organisation der Welt – größer beispielsweise als die römisch-katholische Kirche, der etwa 1,3 Milliarden Menschen angehören. Der Tech-Konzern ist zu einer Weltmacht aufgestiegen mit einer Marktkapitalisierung, die zeitweise das Bruttoinlandsprodukt von Schweden überstieg. Trotz dieser Größe ist Facebook, das seinem Namen nach Buch über Gesichter führt, seltsam konturlos. Man kommt mit dem Unternehmen nur am Bildschirm in Kontakt.

Der Journalist Steven Levy wirft in seinem neuen, nun auch auf Deutsch erschienenen Buch »Weltmacht am Abgrund« einen Blick hinter die Kulissen des Konzerns. In 19 fakten- und anekdotenreichen Kapiteln erzählt er die Geschichte des Tech-Unternehmens und seines Gründers Mark Zuckerberg. Das reicht von Zuckerbergs Kindheit in einem New Yorker Vorort, dessen Studentenleben in Harvard, den Anfängen der Firma in der »Casa Facebook« (einem Ferienhäuschen mit Pool im Garten) über die geschäftliche Expansion bis hin zu den jüngsten Unternehmenskrisen wie dem Datenskandal um die Analysefirma Cambridge Analytica.

Sieger über Julius Cäsar

Der Autor hat Zuckerberg erstmals im März 2006 kennen gelernt. Damals war er für das Magazin »Newsweek« als Tech-Reporter tätig und arbeitete an einem Artikel über das Web 2.0. Seither hat er Zuckerberg auf Konferenzen und Foren immer wieder getroffen und begleitet. In diversen Gesprächen hat er nicht nur einiges über die Persönlichkeit Zuckerbergs erfahren, sondern auch Hintergrundkenntnisse über das Unternehmen erworben. Von diesem Insider-Wissen profitiert das Buch.

Besonders instruktiv sind die ersten Kapitel über Zuckerbergs Kindheit und Jugend. Levy schreibt, dass schon Zuckerbergs Vater Ed, studierter Zahnarzt, ein »Nerd« gewesen sei, der Journalisten über 125 000 Dollar teure Dentalgeräte unterrichtete. Seinem Sohn gab er eine ausgeprägte Technikaffinität mit auf den Weg. Mark spielte bereits als kleiner Junge mit dem alten Atari-Computer des Vaters; in der 6. Klasse bekam er seinen eigenen Rechner. Der schmächtige Junge mochte Mathematik und Computerspiele, nur gefiel ihm nicht, dass er dabei an Regeln von anderen gebunden war. Also programmierte er die Spiele kurzerhand um und schuf sich eine eigene Welt, die seinen Regeln gehorchte. So entwickelte er eine Digitalversion des Brettspiels »Risiko«, in der er als Spieler gegen Julius Cäsar antrat. Der Sieger hieß immer Mark. Unter anderem hierin zeigt sich, dass in dem jungen Zuckerberg bereits viel vom älteren steckte: einem Programmierer, der der Community Spielregeln diktiert.

»Von Anfang an benutzte Zuckerberg den Computer dazu, um der Frage nachzugehen, wie Menschen sich selbst organisieren – und wie manche von ihnen dabei Macht ansammeln«, schreibt Levy. »Als Zuckerberg anfing, sich für Computerspiele zu interessieren, ging er ganz in seinen Weltenschöpfer-Fantasien auf.« Der Autor erzählt, wie der junge Mark mit seinem Vater eine internetbasierte Sprechanlage im Elternhaus installierte, die signalisierte, wenn jemand den Raum betrat – eine Art analoges Tracking. Dieses vernetzte System, auf den Namen »ZuckNet« getauft, ermöglichte es ihm, seiner Schwester Randi hin und wieder einen Streich zu spielen. Hier lässt sich bereits die große Vision erahnen: die Vernetzung und spielerische Überwachung, die Facebook später zum milliardenschweren Geschäftsmodell machte.

Spannend lesen sich auch Levys Ausführungen zu Facebooks Data-Science-Team, in dem Daten- und Sozialwissenschaftler das Verhalten von Facebook-Nutzern analysierten, um die Wachstumsvorgaben zu erfüllen. »Für die Sozialwissenschaftler war Facebook sozusagen die Datenbank Gottes. Man hatte zwei Milliarden Menschen quasi in der Petrischale.« Der Autor beschreibt, wie das Datenschürfen außer Kontrolle geriet. Als der »Guardian« im Dezember 2015 berichtete, gestohlene Facebook-Profile seien für die Kampagne des damaligen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Ted Cruz eingesetzt worden, habe dies die Facebook-Führung »wie ein Blitz aus heiterem Himmel« getroffen. Das Management, so liest man zwischen den Zeilen, hatte die Sache nicht mehr im Griff. Levy zitiert einen Facebook-Mitarbeiter mit den Worten: »Das war echt Wildwest. Der Typ hatte Zugang zu den Daten, und wir haben einfach nicht gerafft, was er damit anstellte.« Es ist ein Gefühl, das sich oft bei der Lektüre einschleicht: dass Zuckerberg und seine Mitstreiter eine Maschinerie erschaffen haben, die sie selbst nicht mehr kontrollieren können.

Levy hat ein sehr eindrückliches und spannendes Buch über eines der wichtigsten Unternehmen dieser Zeit geschrieben. Es ist, dank der guten Übersetzung, unterhaltsam, ohne geschwätzig zu sein. Der knapp 700 Seiten dicke Wälzer ist gewiss etwas zu lang geraten. Manche Passagen etwa zu den Anhörungen im US-Kongress hätte man straffen können. Dennoch wird die Lektüre nie langweilig, weil der Autor immer wieder Anekdoten und Zitate aus Gesprächen mit Zuckerberg einflicht. Wer etwas über die Hintergründe von Facebook und seines Gründers erfahren will, wird dieses Buch mit Gewinn lesen.

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