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»Faul!«: Sünde oder Tugend?

Eine erhellende Lektüre für Menschen, die sich häufig getrieben fühlen. Eine Rezension
faul in der Hängematte

Ausdrücke wie »fauler Hund« und »auf der faulen Haut liegen« lassen erahnen, was man hierzulande von Müßiggang hält. Nicht viel. Selbst Menschen, die sehr viel arbeiten, verspüren oft den Druck, noch mehr zu tun. Ist Faulheit schlecht? Der Journalist und Autor Bernd Imgrund weiß: Die Bewertung des Nichtstuns ist abhängig von der Gesellschaft und dem historischen Kontext.

In seinem spannenden Buch erzählt er, wie Faulheit im Lauf der Geschichte mal kritisch, mal als gottesfürchtig, mal als Todsünde und mal als Familienrecht betrachtet wurde. Die unterschiedlichen Ansichten von Kirchen spielten dabei eine große Rolle. »Die blauen Montage«, an denen Handwerker nicht arbeiteten, verschwanden größtenteils mit der Industrialisierung. »Maschinen vertragen keine langen Standzeiten«, wie Imgrund es ausdrückt. Die Digitalisierung verwischte dann endgültig die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. »Vom ›Nine to five‹ zum ›24/7‹: Die Räder müssen rollen, die Datenmengen fließen.« Die amüsante Erzählweise des Autors macht gute Laune. Gleichzeitig liefert er eine umfassende und fundierte Recherche.

Manchmal streut Imgrund überraschende Anekdoten und Fakten ein. Wer hätte beispielsweise erwartet, in dem Buch zu erfahren, dass das Faultier »Sid« aus dem Film »Ice Age« eigentlich viel größer hätte sein müssen: Die Riesenfaultiere der Eiszeit waren nämlich bis zu sechs Metern lang und wogen bis zu sechs Tonnen. Zitate, Bilder und Alltagstipps lockern die Lektüre auf. Berühmte Denker tauchen ebenso auf wie bekannte fiktive Charaktere. 

Ob Faulheit nun gut oder schlecht ist, bleibt wohl eine Frage der Perspektive. Imgrund zufolge kommt es auch auf die Art von Faulheit an: »Toxische Faulheit« macht träge und ist ungesund, »entspannte Faulheit« hingegen ist zum Genießen der arbeitsfreien Zeit. Der Autor schließt mit einem Plädoyer dafür, die heutige Arbeitswelt mal grundsätzlich zu überdenken. Dabei geht es ihm nicht etwa darum, weniger Stunden pro Woche vorzuschreiben: »Wer auf seine 80-Stunden-Woche nicht verzichten will, darf gern daran festhalten. Er soll sich nur nicht einbilden, dadurch ein besserer Mensch zu sein.« Zehn Stunden, so sein Fazit, täten es genauso gut.

»Faul!« ist eine erhellende Lektüre für Menschen, die sich häufig getrieben fühlen und denen der Wunsch nach Freizeit ein schlechtes Gewissen macht. Die verschiedenen Perspektiven lassen die Leserinnen und Leser ihre Einstellungen zu Produktivität und Entspannung überdenken. Und: Das Buch ist kurz genug, dass auch lesefaule Menschen es bis zur letzten Seite schaffen.

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