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»Fernweh«: Der Weg ist das Ziel

Menschen reisen gern. Warum das so ist und wie sich unsere heutige Reisekultur entwickelt hat, davon handelt das vielschichtige Buch von Daniela Pörtl.

Das Reisen hat sich in den 1960er Jahren in Deutschland zu einem Massenphänomen entwickelt – und danach stark gewandelt. Während die Deutschen zunächst vor allem Pauschalreisen für den Sommerurlaub buchten, reicht das Spektrum der Reisearten heute von abenteuerlichen Expeditionen zu abgelegenen Orten bis hin zu Kulturreisen für den gehobenen Anspruch.

Als psychologisch ergiebig erweist sich dabei etwa der Blick auf den sogenannten Dark Tourism. Denn einige Urlauber wollen dezidiert Nervenkitzel und Grusel: »Anscheinend suchen wir beim Reisen nicht immer nur nach einem Paradies, sondern mitunter auch nach der Hölle«, beschreibt Autorin Daniela Pörtl diese Motivlage. Derartige Reisen führen Touristengruppen an den Ground Zero, in Gulags oder durch südamerikanische Slums. Neu ist die Idee nicht – schon vor 100 Jahren wurden Schlachtfelder und Kriegsschauplätze besichtigt.

Der Mensch will reisen

Laut Pörtl geht es uns dabei um die gefahrlose Angst, um »TÜV-geprüft sicheren« Grusel, der Dopamin- und Endorphinhochs auslöst. Die Angstlust sei ein normales menschliches Phänomen, und sie habe durchaus auch eine positive Seite: Historische Schrecken böten die Gelegenheit, aus den Fehlern anderer zu lernen. »Dark Tourism« sensibilisiere für Missstände: »[H]inschauen statt wegschauen, um es anschließend selbst besser zu machen«, so das Fazit der Autorin. Pörtl ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologin und hat sich selbst schon oft auf abenteuerliche Reisen begeben.

In ihrem Buch blickt die Autorin aber nicht nur auf die ungewöhnlicheren Arten des Reisens, sondern geht vor allem der Frage nach, was uns eigentlich so reiselustig macht. Dabei betrachtet sie das Unterwegssein aus unterschiedlichsten Blickwinkeln und verwebt dabei geschickt unzählige Quellen, Studien und Fallbeispiele. Dabei wird immer wieder deutlich: Reisen ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Und: »Reisen bedeutet, an Grenzen zukommen.«

Das Ganze liest sich überraschend flüssig, man fühlt sich mitgenommen durch die wissenschaftlichen Disziplinen, Orte, Begegnungen und historischen Entwicklungen. Das im Untertitel verwendete Wort »Psychologik« ist kein Fachbegriff und findet sich auch nicht im Duden; die Autorin hat es offenbar bewusst gewählt, um den interdisziplinären Ansatz ihres Buchs anzudeuten.

Insgesamt wirkt das Werk sorgfältig recherchiert und ist anschaulich geschrieben. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und neue Perspektiven auf das Reisen und menschliche Bedürfnisse bietet. Lesenswert.

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