Philosophinnen-Quartett
Viele Nachfolger von Bestsellern sind nur ein müder Abklatsch. Wolfram Eilenberger zeigt, dass es auch anders geht: Wie schon in dem erfolgreichen Vorgängerband »Zeit der Zauberer« (über Martin Heidegger, Ernst Cassirer, Walter Benjamin und Ludwig Wittgenstein) porträtiert der Journalist in »Feuer der Freiheit« ein Quartett von Geistesgrößen. In ausgleichender Gerechtigkeit stehen nun vier Frauen im Rampenlicht – neben der politischen Theoretikerin Hannah Arendt und der Existenzialistin Simone de Beauvoir die nicht ganz so berühmte Ayn Rand (alias Alissa Rosenbaum), eine Vertreterin des radikalen Individualismus und Mitbegründerin der libertären Bewegung in den USA, sowie die religiös inspirierte Sozialrevolutionärin Simone Weil.
Letztere ist die tragischste Gestalt des Quartetts. Die junge, jüdischstämmige Intellektuelle kehrt aus dem bereits sicheren Asyl in den USA nach Europa zurück, um sich der Widerstandsgruppe um Charles de Gaulle anzuschließen. Auf Grund ihrer Kurzsichtigkeit und jahrelangen Magersucht für den Kampfeinsatz ungeeignet, füllt sie stattdessen hunderte Seiten ihrer »Cahiers« mit politisch-ethischen Reflexionen. Im Sommer 1943 stirbt Weil gerade 34-jährig in einem englischen Sanatorium, da sie jede Nahrung verweigert.
Ganz im Gegensatz dazu macht Ayn Rand mit ihrem Roman »The Foutainhead« und Aufträgen für Hollywood Karriere. Sie wendet sich vehement gegen jeden Totalitarismus, ja verteidigt den Egoismus »starker Individuen« wie den ihres Romanhelden Howard Roark. Dabei ist Rand sicher die schwächste Denkerin im Buch, hat sie doch außer Friedrich Nietzsche (wen sonst!?) kaum einen Autor der Philosophiegeschichte studiert.
Simone de Beauvoir tritt zur selben Zeit, Anfang der 1930er Jahre, aus dem Schatten ihres langjährigen Weggefährten und Liebhabers Jean-Paul Sartre und ist der eigentliche Kopf des Existenzialismus; Hannah Arendt wiederum, die mit knapper Not den Nazis entkommt, wird später mit ihren Studien über Antisemitismus und die »Banalität des Bösen« weltbekannt. Eilenberger begleitet die Anfänge (in Weils Fall auch das Ende) dieser vier Denkerinnen durch die dunkelste Dekade des 20. Jahrhunderts, von Hitlers Machtergreifung bis zum Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Er verknüpft hierbei gekonnt Theorie und Praxis: Das Ausdeuten von Schriften und Zitaten der Protagonistinnen wechselt ab mit biografischen und historischen Hintergründen.
Ähnliche Zumutungen, andere Schlüsse
Erstaunlich ist, wie unterschiedlich die vier auf die Zumutungen ihrer Zeit reagierten und wie gegensätzlich ihre Schlüsse ausfielen. Während Weil eine bedingungslose Ethik des Mitleids entwickelte, bewahrte sich Arendt den ironischen Blick: »Wenn die Weltgeschichte nicht so beschissen wäre, wäre es eine Lust zu leben«, notiert sie auf der Flucht. Und während Rand den heroischen Egoismus feiert, will Beauvoir Sozialismus und Freiheit miteinander vereinen. Mehr Kontrast geht kaum.
Stilistisch allerdings greift der Autor oft etwas zu tief in die Trickkiste. Vieles ließe sich direkter, mit weniger Showeffekt sagen, als er es tut. Nur ein Beispiel für den häufig ausladenden Satzbau: »Als gewiss nur ein zufälliges Detail dieser beiden wie an unsichtbaren Fäden miteinander verbundenen Lebenswege erfahren sich sowohl Weil wie auch Beauvoir im April 1937 aus gesundheitlichen Gründen vorerst ›außer Gefecht‹ gesetzt.« Kurz gesagt: Beide waren erkrankt.
Ein bisschen Rosamunde Pilcher für Bildungsbürger
Hinzu kommen oft recht gewaltige, nur wenig aussagekräftige Bilder. Regelmäßig blicken die Beteiligten in Abgründe, bringen Ideen gegeneinander in Stellung oder prallen auf Erfahrungswelten. Passend dazu serviert Eilenberger hier und da gern eine Portion Rosamunde Pilcher für Bildungsbürger – etwa wenn er beschreibt, wie Beauvoir »mit tränenüberströmten Wangen über die (…) Nichtigkeit allen Strebens sinniert« oder dass junge Existenzialisten in Hotelzimmern »tanzten und lachten, kochten und tranken, stritten und miteinander schliefen«. Sei's drum, man erfährt viel aus diesem Buch. Zum Beispiel über den gemeinsamen Nenner der vier Philosophinnen: Jede widerstand auf ihre Art der »Enteignung des Individuums durch die Kollektivität«, so Eilenberger. Eine übereinstimmende Antwort darauf fanden sie dennoch nicht.
Zwar streben laut dem Autor »nur Gimpel und Ideologen« nach abschließender Wahrheit. Doch andererseits soll Philosophie sicher zu Ansichten verhelfen, die nicht so leicht von der Hand zu weisen sind. Was sagt es über den Status der klügsten Analysen, wenn man die Sache am Ende auch ganz anders sehen kann? Sollte Nachdenken nicht mehr liefern als bloßes Meinen, sollten Argumente nicht mehr bedeuten als das jeweilige persönliche Temperament? Wer solche Anregungen zum eigenen Weiterdenken sucht, für den lohnt sich die Lektüre.
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