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Typisch Frau, typisch Mann?

Geschlechterstereotype sind groß, Geschlechterunterschiede jedoch nicht. Dieser einfache Satz resümiert eine der Kernbotschaften von Melanie Steffens und Irena Ebert. Die Psychologinnen von der Universität Koblenz-Landau gehen in ihrem Buch den wichtigsten Fragen der sozialpsychologischen Geschlechterforschung nach: Wie verschieden sind Männer und Frauen tatsächlich? Woran liegt es, dass Frauen immer noch weniger Geld verdienen? Und was hindert sie daran, Karriere zu machen?

Im ersten Teil widmen sich Steffens und Ebert den Geschlechter­stereotypen, also den impliziten oder expliziten Annahmen darüber, welche Eigenschaften typisch für Frauen und Männer seien. Jeder von uns werde täglich mit geschlechter­spezifischen Botschaften überschwemmt, so die Autorinnen. Beispielsweise gelten Männer als handlungsorientiert, Frauen dagegen als gemeinschaftsorientiert. Somit passe das Stereotyp des Mannes eher zum Posten einer durchsetzungsstarken Führungskraft, das der Frau dagegen zu sozialen Berufen. Ein Ausbruch aus der vorgegebenen Rolle sei schwierig, da vermeintlich geschlechtsuntypisches Verhalten von der Umgebung bestraft werde. Eine dominant auftretende, selbstbewusste Frau riskiere soziale Sanktionen, da Bescheidenheit und Zurückhaltung immer noch als typisch weibliche Eigenschaften angesehen würden. Wer sich nicht so verhält, wie es die anderen als "richtig" oder "natürlich" ansehen, wird weniger gemocht, was sich wiederum auf Leistungsbeurteilungen und andere Karriereschritte auswirkt, erklären die Autorinnen.

Frauen werden zudem häufig als weniger kompetent eingeschätzt als Männer, besonders in mathematisch-physikalisch-technischer Hinsicht. Als selbsterfüllende Prophezeiung hat das Auswirkung auf die schulischen Ergebnisse und später auf die Wahl des Studiums. Dennoch vertreten Steffens und Ebert eine optimistische Perspektive: Entscheidend für den Abbau von Vorurteilen sei vor allem, sich dieser bewusst zu werden.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Im zweiten Teil des Buchs diskutieren die Wissenschaftlerinnen verschiedene Möglichkeiten, um Stereotypen Einhalt zu gebieten. Dazu dienen zum Beispiel so genannte Diversity-Trainings, in denen Mitarbeiter lernen, ihre Vorurteile gegenüber Frauen, Homosexuellen oder Menschen anderer ethnischer Herkunft zu erkennen und zu hinterfragen. Ebenso können Betriebe versuchen, eine weniger maskuline Unternehmenskultur zu pflegen sowie zur Bewertung der Arbeitsleistung so viele Informationen wie möglich über eine Person heranzuziehen, um nicht (unbewusst) auf stereotype Deutungen zurückzugreifen. Fraglich ist allerdings, ob dies Vorurteilen tatsächlich effektiver entgegenwirkt als etwa anonymisierte Bewerbungen, die im öffentlichen Dienst bereits erfolgreich getestet wurden. Auch die Idee, Löhne an objektiven Leistungsmaßen zu orientieren, anstatt sie individuell zu verhandeln, ist durchaus sinnvoll, wird aber in der Privatwirtschaft selten umgesetzt.

Die Stärken des Buchs sind seine klare Struktur, die verständliche (wenn auch stellenweise trockene) Sprache sowie die Tatsache, dass die Autorinnen ihre zentralen Aussagen stets mit Befunden aus der Forschung stützen. Schade jedoch, dass viele erwähnte Studien bereits 10 bis 15 Jahre alt sind. Zumal die beiden Sozialpsychologinnen auf ihre eigenen Diversity-Trainings ausführlicher hätten eingehen und das Thema damit praxisnäher darstellen können.

So dürften die Buchinhalte Gleichstellungs­beauftragten wie Gender-­Forschern überwiegend bekannt sein. Personal­manager, Erzieher oder Lehrer sind mit der Lektüre dennoch gut beraten. Denn die Autorinnen bündeln jahrzehntelange Forschung zu geschlechterspezifischen Stereotypen, machen auf deren starken Einfluss bei der Berufswahl aufmerksam und sensibilisieren Personalverantwortliche für unbewusste Vorurteile.

Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und Springer Science+Business Media gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel aus dem Springer-Verlag mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.

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