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»Gefährlicher Glaube«: Glaube und Wissenschaft

Erstaunlich viele Menschen unserer Gesellschaft sind abergläubisch. Pia Lamberty und Katharina Nocun erklären, warum Esoterik gefährlich sein kann. Eine Rezension
Hand mit Pendel, im Hintergrund stehen Kerzen und bunte Steine liegen auf einem Tisch

Haben Sie schon einmal von der »Barcode-Verschwörung« gehört? Ihr zufolge geben die Strichcodes auf Produktverpackungen toxische Strahlung ab. Aufgedruckte Symbole würden aber dagegen helfen, und einige Hersteller von Bio-Lebensmitteln versehen ihre Etiketten mit entstörenden Zeichen. Also Entwarnung.

40 Prozent der Deutschen sind abergläubisch

Das ist nur eines von zahlreichen Beispielen für Esoterik. Unter diesem Oberbegriff besprechen die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Publizistin Katharina Nocun viele verschiedene obskure Dinge: von der Homöopathie über die New-Age-Bewegung und Schamanismus bis zu ausgefeilten Verschwörungstheorien. Der Glaube an Esoterik ist weiter verbreitet, als man denkt: Immerhin glauben mehr als 40 Prozent der Deutschen, dass eine Aussage wie »Glücksbringer bringen Glück« wahrscheinlich oder gar sicher zutrifft. Fragen nach dem Einfluss der Sternzeichen auf das Leben oder die Kräfte von Wunderheilern liefern ähnliche Ergebnisse. Wie die Autorinnen beschreiben, stimmen deutlich mehr Frauen esoterischen Aussagen zu als Männer.

Esoterik besteht aus sehr unterschiedlichen Glaubenslehren, und das Buch illustriert, was diese gemeinsam haben. Oft geht es nicht um Heilung oder Hilfe, sondern ganz einfach um Geld. Vor allem existiert das große Geschäft mit dem »Psychomarkt«: Leistungen wie astrologische Vorhersagen, Tarot, Handlesen und Homöopathie sind recht teuer. Die Situation wird dadurch verschärft, dass sich unseriöse Angebote vor allem im Internet und den sozialen Medien tummeln. Desinformation und massive Werbung für esoterische Verfahren oder Nahrungsergänzungsmittel gegen schwere Krankheiten wie Krebs finden sich hier. Vertraut ein Patient auf die Wirksamkeit von Heilsteinen gegen Krebs, statt sich einer notwendigen Chemotherapie zu unterziehen, handelt es sich nicht mehr um harmlosen Hokuspokus.

Auch die Beliebtheit der Homöopathie ist schwer zu verstehen, stammt sie doch von Anfang des 19. Jahrhunderts, als die wissenschaftliche Medizin mit ihren Erkenntnissen noch in ihren Anfängen steckte. Warum Patienten heute abenteuerlichen und nicht nachvollziehbaren Behandlungsmethoden vertrauen, ist irritierend. Zusätzlich propagieren Wunderheiler Dinge wie die »Neue Germanische Medizin« und driften oft in radikale Gemeinschaften ab. Die wissenschaftliche Schulmedizin wird weitgehend abgelehnt, und Esoteriker grenzen sich davon ab, wohl vor allem, weil sie den Qualitätskriterien wissenschaftsbasierter Verfahren nicht genügen können und wollen.

Schlagworte wie »gute Alternativmedizin« im Gegensatz zur »bösen Pharmalobby« finden viel Anklang, und ein schwammiger Begriff wie »ganzheitliche Behandlung« mutet bei einem Ansatz, der häufig die Existenz von Bakterien und Viren leugnet, etwas merkwürdig an. Außerdem wird »die Chemie« in der Medizin abgelehnt, obwohl die propagierten natürlichen Mittel selbstverständlich aus chemischen Verbindungen bestehen.

Spirituell angehauchte Produkte und Therapien erfreuen sich also großer Beliebtheit. Man könnte meinen, dies sei Privatsache; aber die Autorinnen geben zu bedenken, dass Esoterik nicht nur wirkungslose Abzocke ist, sondern auch Tummelplatz radikaler politischer Ideen. Die Verharmlosung der Coronapandemie und die Aktivität sektenähnlicher Organisationen sind Beispiele hierfür. Weshalb Menschen eher ihren Gefühlen oder ihrer Intuition als auf wissenschaftliche Fakten vertrauen, lässt sich nicht so einfach erklären.

Es stellt sich natürlich die Frage nach dem angestrebten Leserkreis. Wer diese Rezension in »Spektrum der Wissenschaft« liest, wird wahrscheinlich der Esoterik ohnehin kritisch gegenüberstehen, und wer die esoterischen Gedankengänge als stimmig ansieht, wird das Buch kaum lesen wollen. Dennoch ist es eine lesenswerte Lektüre.

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