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»Gescheit oder gescheitert?«: Der schiefe Turm von PISA

Nicht nur der Zustand unserer Institutionen, sondern auch die Sehnsucht nach Vereinfachung stehe echter Bildung hierzulande im Wege – so der Befund Holger Rusts.

Holger Rusts Buch ist ein Rundumschlag. Auf gut 230 Seiten versucht er zu bilanzieren, inwiefern in der »Bildungsrepublik Deutschland« das Versprechen von sozialem Aufstieg durch Bildung eingelöst werde, und fragt, wie die Zukunft dieses Konzepts aussehen könne.

Die Bildung in Deutschland wird immer schlechter – zu diesem Ergebnis kommen regelmäßig PISA-Studien und internationale Bildungsatlanten. Doch warum ist das so, wenn doch Wissen immer leichter zugänglich wird und es sich theoretisch alle zu jeder Zeit erarbeiten können? Warum wächst, trotz immer neuer bahnbrechender Erkenntnisse der Wissenschaft und Forschung, die Skepsis ihnen gegenüber und schlägt zuweilen sogar in Feindschaft um? Und wie kann Bildung diesen Trends entgegenwirken?

Holger Rust attestiert der deutschen Gesellschaft eine – durch die andauernden Krisen genährte – Sehnsucht nach Simplifizierung. Die Komplexität des Alltags und der real existierenden Probleme solle, so der Wunsch, auf ein beherrschbares Maß heruntergebrochen werden. Dieses Bedürfnis führe zu einer Ablehnung der oft komplexen und für Fachfremde schwer verständlichen Wissenschaft und treibe die Menschen in die Arme von so genannten New Public Intellectuals; deren Popularität beruhe auf der Verkürzung komplexer Zusammenhänge auf prägnante Schlagworte, die oft das Niveau nichtssagender Kalendersprüche hätten. Rust macht diesen Trend beispielhaft an Zukunftsforscher Matthias Horx fest. In umfangreicher Recherche nimmt er den selbsternannten Trendforscher und sein Geschäftsmodell unter die Lupe und bezeichnet Letzteres als »Murks-Maschine«. Er analysiert seine ungenauen und in der Rückschau teils absurd anmutenden Thesen, indem er ihnen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung gegenüberstellt. Auch Medienintellektuelle wie Richard David Precht oder Peter Hahne »entzaubert« der Autor.

Medienintellektuelle als Scheinriesen

Über die Analyse einzelner Personen und ihrer Geschäftsmodelle kommt Rust zu einer systemischen Kritik der Verwertungs- und Vermarktungslogik, der Bildung und Wissen seiner Einschätzung nach im Kapitalismus unterliegen. Nur dank dieser Marktmechanismen seien die Medienintellektuellen so erfolgreich. Während sie sich selbst immer wieder auf eine vorgebliche Wissenschaftlichkeit beriefen, erregten sie primär durch das Infragestellen wissenschaftlicher Erkenntnisse Aufsehen. Die Wissenschaft, fordert Rust, müsse sich gegen diese Art der Vereinnahmung wehren und zugleich berechtigte Kritik an ihrer Arbeit ernst nehmen. Auch müsse sie daran arbeiten, für weniger privilegierte Milieus zugänglicher zu werden, um ihre Glaubwürdigkeit als für die gesamte Gesellschaft relevante Kraft nicht zu verlieren.

Insgesamt analysiert Rust durchaus treffend, dass Deutschlands Bildungssystem vor allem daran krankt, dass es bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse zementiert, anstatt echten Aufstieg zu ermöglichen. Er macht plausibel, dass daraus ein gefährlicher Vertrauensverlust in Bildungseinrichtungen entsteht. Jedoch verrennt er sich bei seiner Analyse allzu oft in Details und verpasst so die Chance, echte Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Auch bleibt offen, welche konkreten Gefahren Bildungsungerechtigkeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie birgt oder wie das verloren gegangene Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Rusts Zustandsbeschreibung der maroden Bildungsrepublik überzeugt, konstruktive Ideen für eine bessere Zukunft bietet sein Buch kaum.

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