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»Geschmack und Geruch«: Wonach Batterien schmecken

Wie die Empfindungen des Schmeckens und Riechens entstehen und wie sie sich deuten lassen, erläutert Wolfgang Skrandies in seiner Physiologie dieser Sinne.

Warum schmeckt Vanillezucker zwar auch bei verstopfter Nase noch süß, verliert aber seine Vanillenote? Und welcher Geruch ergibt sich, wenn man Haferflocken mit Maggi-Würze mischt? Diese und viele weitere Fragen dazu, wie Geruch und Geschmack unser Leben prägen und wie die damit verbundenen entsprechenden Empfindungen entstehen, beantwortet Wolfgang Skrandies, emeritierter Professor für Physiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen.

In seinem rund zweihundertseitigen Buch erläutert der Autor unter anderem den Unterschied zwischen »Nahsinnen« – zum Beispiel dem Geschmack, der direkten Kontakt mit den Geschmacksrezeptoren auf der Zunge erfordert – und »Fernsinnen« wie dem Geruch, bei dem Duftmoleküle über die Luft in die Nase und so in die Wahrnehmung gelangen.

Auch Fett schmeckt

Im Kapitel »Anatomie, Physiologie und Wahrnehmung« erklärt Skrandies zunächst ausführlich, wie Geschmacks- und Geruchssinn funktionieren. Diagramme und Grafiken helfen dabei, die Zusammenhänge zu verstehen. Besonders spannend sind die vielen Experimente, die Leserinnen und Leser selbst ausprobieren können – etwa das Ablecken einer Batterie. Skrandies erläutert, warum es säuerlich »schmeckt«, wenn man beide Pole der Batterie gleichzeitig mit der Zunge berührt. An sich sollte die Batterie eigentlich nach gar nichts schmecken, aber die Elektrizität löst einen Reiz aus, der zu einer Empfindung führt; ein Phänomen, das bereits Alessandro Volta 1816 entdeckte. Aber, Vorsicht: Laut Skrandies sollte man für dieses Experiment nur eine schwache Batterie verwenden, da ab einer Stärke von etwa neun Volt nichts mehr »schmeckbar« ist, sondern Schmerz empfunden wird.

Der Autor geht in seinen Erläuterungen über die reine Physiologie der Sinneswahrnehmung hinaus. So erfährt man zum Beispiel, dass sich die Rezeptoren für Geschmack und Geruch regenerieren können – im Gegensatz zu Seh- und Hörsinneszellen, die bei Beschädigung dauerhaft ausfallen. Außerdem referiert Skrandies eine Entdeckung aus dem Jahr 2011: Neben den bekannten Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami gibt es spezielle Rezeptoren, die Fettgeschmack wahrnehmen können.

Nach der physiologischen Einführung beleuchtet der Autor, wie Geschmack und Geruch in Philosophie und Literatur behandelt werden. Besonders interessant ist die Beobachtung, dass unsere Sprache vergleichsweise wortarm ist, wenn es um Gerüche geht. Meist nutzen wir Vergleiche wie »riecht wie Kaffee« oder »duftet blumig«, weil wir nicht über konkretere Begriffe zur Beschreibung des Empfundenen verfügen. Im Mittelalter war das anders: Das Mittelhochdeutsche kannte schon allein für das Verb »riechen« zahlreiche differenzierende Varianten, etwa »tuften«, »necken« und »smacken«. Skrandies führt dies darauf zurück, dass Gerüche damals eine viel größere Rolle im Alltag spielten – was für angenehme wie für unangenehme Gerüche galt.

Schließlich beleuchtet der Autor, welche Rolle Gerüche und Geschmack in unserem heutigen Alltag spielen; wie sie etwa unsere Emotionen beeinflussen oder sogar bei der Diagnose einiger Krankheiten helfen können. So gibt es beispielsweise Hunde, die bestimmte Erkrankungen erschnüffeln können.

Das Buch richtet sich sowohl an Studierende der Medizin, Psychologie und Philosophie als auch an interessierte Laien. Erstere profitieren von der hohen Informationsdichte und den fundierten Erklärungen, während für Letztere der wissenschaftliche Sprachstil und die gelegentlich verwendeten Fachbegriffe herausfordernd sein könnten. Ein gewisses Durchhaltevermögen ist also gefragt. Hilfreich ist dabei das Register im Anhang, in dem zentrale Fachbegriffe noch einmal erläutert werden.

Insgesamt ist »Geschmack und Geruch« eine fundierte und vielseitige Auseinandersetzung mit zwei unserer faszinierendsten Sinne. Wer sich für Physiologie interessiert und auch mit einer hohen Informationsdichte zurechtkommt, wird seine Freude an diesem Werk haben. Für Laien kann die Fachsprache stellenweise anspruchsvoll sein, doch die zahlreichen Experimente und anschaulichen Erklärungen machen das Buch auch für sie lesenswert. Und zum Schluss noch die Auflösung der eingangs gestellten Frage: eine Mischung aus Haferflocken und Maggi-Würze riecht nach – Walnuss. Auch die Physiologie hinter dieser Empfindung erklärt Wolfgang Skrandies in seinem Buch.

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