»Gutes tun«: Gute Firmen, böse Firmen
»Wir leben in einer Zeit beispielloser Krisen …«. Aufgeregt beginnt Markus Gabriel sein Buch und setzt ein mit der bekannten Weltbeschreibung, die uns täglich differenzierter Qualitätsmedien präsentieren. Das »Zivilisationsmodell der Moderne« stehe »unter heftigem Druck«, wir bräuchten deshalb »einen neuen Gesellschaftsvertrag«, um die »Probleme der Zeit zu bewältigen«, sogar eine »neue Aufklärung«, und diese müsse auf dem »Ansatz« fußen, dass »wir – und zwar dringend – den moralischen, menschlichen Fortschritt mit unseren sozioökonomischen Mitteln zur Produktion von Waren und Dienstleistungen und damit Wohlstand und Wohlfahrt neu koppeln müssen«.
Gabriel schreibt vollmundig vom »ethischen Kapitalismus«, der mit »Gutes tun« gleichsam die »Demokratie retten« könne. Seine Begründung bleibt dennoch »recht simpel«: Wenn zwei Firmen das Gleiche produzierten, die »Firma Böse« Umweltschäden verursache, ihre Mitarbeiter und die Umwelt ausbeute und in ihr eine »toxische Atmosphäre« herrsche, die »Firma Gut« dagegen Ausbeutung von Umwelt und Mitarbeiter vermeide und in umweltverträgliche Waren und Dienstleistungen investiere und beide gleich hohe Gewinne erzielten: Dann sei es klar, dass die »Firma Gut« die bessere sei. Von hier aus springt Gabriel zu Kants Begriff des »höchsten Gutes«, den er nicht weiter erläutert – und fertig ist sein »ethischer Kapitalismus«: »Das Geschäft der Wirtschaft ist es, Gutes zu tun.«
Drei Voraussetzungen habe der »Kapitalismus«: Privateigentum an den Produktionssystemen, freie Verträge und freie Märkte. Er sei kein System, sondern eine »lose verbundene Menge von Aspekten des modernen Wirtschaftslebens«, den der demokratische Staat durch Gesetze regele. Gabriels Denken folgt etablierten ordo- und sozialliberalen Mustern, er will die Gesellschaft reformieren und nicht revolutionieren. Ihm gehe es um »wahren Profit«, der auf gutem Wirtschaften fuße; er kritisiert gleichermaßen Plutokratie und Oligarchie sowie den »Moralismus« einer »mehr oder weniger willkürlichen öffentlichen Meinung« dazu, was derzeit gerade als moralisch gelte. Der Kapitalismus sei gut, man müsse ihn nur eben ethisch einhegen.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Philosophen
Wie das gehen soll? Gabriel spricht von vier »Anwendungen«. Firmen sollten sogenannte CPO, also »Chief Philosophy Officer«, einstellen, die Ethikabteilungen mit Geisteswissenschaftlern aufbauen und so strategischen Einfluss auf die Geschäftsmodelle nehmen, sie gleichsam auf den ethischen Pfad führen. Dafür müssten sie Einblick in alle Daten und Firmenunterlagen haben und frei von Einfluss und Druck des Vorstands arbeiten können. Sie sollten »auf Basis ihrer Forschungen« Vorschläge machen, aber selbst keine »allgemeine Forschungsstelle« sein, wie es widersprüchlich heißt.
Darüber hinaus fordert der Autor ein allgemeines Wahlrecht für Kinder »um des moralischen Fortschritts willen«, die Bildung einer neuen »Weisheit«, um das menschliche Begehren einzugrenzen, und zu guter Letzt eine »Anthropologie höherer Ordnung« zur Neuausrichtung der KI-Ethik für die nächste Generation.
Nun ist es ja nicht so, dass man Gabriel nicht in Vielem zustimmen könnte. Kapitalismus und Demokratie haben die Lebensverhältnisse weltweit verbessert, teilweise Hunger und viele Krankheiten überwunden und den Fortschritt in den letzten 200 Jahren vorangebracht – Quellen wie »Our World in Data« bestätigen das. Menschen, so Gabriel, seien auf Kooperation angelegt, ohne ein soziales Miteinander sei niemand lebensfähig, und das Beispiel der Covid-Pandemie habe bewiesen, dass eine weltweite Kooperation möglich sei, wenn es wirklich darauf ankomme. Er beruft sich auf Liberale wie Adam Smith, John Stuart Mill, Karl Popper und nicht zuletzt den Ökonomen Colin Mayer (emeritierter Professor der University of Oxford), seltsamerweise aber auch auf die »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und Adorno, die er in eine »aufgeklärte Dialektik« umwertet.
Aber Gabriel kommt insgesamt doch eher dampfplaudernd daher, spricht von »neuer Ordnung«, »ethischem Kapitalismus« und »ökosozialem Liberalismus« und verwendet zahllose andere Schlagworte – wirklich stichhaltige Argumentationen sucht man in seinem Buch vergeblich. Dafür findet sich darin eine Fülle von pauschalisierenden Behauptungen und Merkwürdigkeiten. Gabriel spricht von »nutzlosen« Diamanten, ohne zu bedenken, dass diese in einigen Industriezweigen notwendig sind, redet von der Globalisierung, ohne zu reflektieren, dass sie sich auf dem Rückzug befindet, et cetera. Viele weitere Beispiele ließen sich anführen, die absurd und realitätsfern anmuten.
Das Buch soll möglichst für alle verständlich sein, deshalb verzichtet der Autor auf philosophische Begriffe; aber dem Text fehlt jede Tiefe. Leser, die Profunderes erwartet haben, vertröstet Gabriel auf später: »Die harte philosophische Theorie hinter dem hier vorgetragenen Vorschlag werde ich an anderer Stelle ausführlicher darlegen.« So gleicht das Buch einem politischen Pamphlet im Stil einer Donquichotterie. Denn auch Cervantes‘ Held waren Selbstzweifel fremd.
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