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Buchkritik zu »Halley, Hünen, Hinkelsteine«

Die britischen Archäologen und Historiker Peter James und Nick Thorpe, bekannt geworden durch "Keilschrift, Kompaß, Kaugummi: Eine Enzyklopädie der frühen Erfindungen" (Sanssouci 1998), befassen sich in ihrem neuen Werk mit vor- und frühgeschichtlichen Rätseln (der vom Verlag gewählte Titel ist zwar eingängig, aber dafür ziemlich unscharf). In einem Themensektor, der von lauten Märchenerzählern und unlauteren Marktschreiern dominiert wird, füllt dieses Buch eine Lücke: Es bringt synoptische, gut verständliche, aktuelle und wissenschaftlich fundierte Darstellungen, die Spekulationen zwar nicht scheuen, sie aber von den – oft spärlichen – Fakten säuberlich trennen. Dies ist zumindest die gute Absicht, die James und Thorpe an vielen Stellen – nicht immer – eingehalten haben.Die Autoren steuern einen doppelten Mittelkurs "zwischen unkritischer Begeisterung und professioneller Skepsis" einerseits, zwischen ahnungsloser bis bewusst irreführender Mystifizierung und "sterilen wissenschaftlichen Exerzitien" andererseits. Damit ist ihnen ein journalistisch, pointiert sowie gut verständlich geschriebenes, oft sogar spannendes Buch gelungen, von dem ein breiter Leserkreis profitieren kann. Größere Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.Die Themenvielfalt ist so groß, dass selbst kundige Historiker und Archäologen einiges Wissenswerte hinzulernen können. Sechs umfangreiche Kapitel widmen sich jeweils drei oder vier ausgewählten Schwerpunkten: "Versunkene Kontinente und Katastrophen" (über Atlantis, Sodom und Gomorrha, Polverschiebungen), "Himmelsbeobachtungen" (über Steinzeit- und Bibel-Astronomie), "Architektonische Wunderwerke" (Stonehenge, Pyramiden, Osterinseln), "Erdmuster" (Glastonbury, Somerset, Ley-Linien, Nazca), "Original oder Fälschung" (Ötzi, Schliemanns Troia-Schatz, Schriftrollen vom Toten Meer, König Artus’ Grab) und "Übersinnliches und Archäologie" (Tutanchamuns Fluch, der Fall Omm Seti, der Bund von Avalon).Mitunter werden esoterische Themen vorgestellt und in guter aufklärerischer Tradition kritisiert. Das Buch ist mit zahlreichen Grafiken und schwarz-weiß wiedergegebenen Fotos schön illustriert. Eine 14-seitige, leider nicht immer repräsentative und aktuelle Bibliographie sowie ein Namens- und Sachregister schließen das Buch ab.Das thematische Potpourri ist eindrucksvoll und gelungen. Eine gewisse Beliebigkeit ließ sich freilich kaum vermeiden. So werden, dem selbst gewählten Zeitlimit 1492 zum Trotz, weitaus spätere Themen wie Dracula und das Marsgesicht aufgenommen, während beispielsweise das mysteriöse Grab und die Terrakotta-Armee des ersten Kaisers von China unerwähnt bleiben. Ein Unterkapitel handelt von Heinrich Schliemanns Machenschaften, aber die bahnbrechenden Erkenntnisse von Manfred Korfmanns Ausgrabungen in Troia werden nicht vorgestellt. Dass die Relikte des Hügels Hisarlk in der heutigen Türkei mit Homers Troia in Verbindung stehen, wurde nicht durch die Grabungen von Wilhelm Dörpfeld und Carl Blegen "bestätigt", sondern erst kürzlich mit der Entzifferung hethitischer Keilschrifttexte nachgewiesen: 1996 konnte Frank Starke zeigen, dass das Wilusa der hethitischen Dokumente Homers (W)Ilios ist. Auch wird der vermeintliche "Schatz des Priamos" als viel zu singulär dargestellt – war er doch nur ein Bauopfer unter anderen.Bemerkenswert ist, wie viele astronomische Bezüge sich in der Vor- und Frühgeschichte finden lassen. Mehrere Megalithbauten waren auf Sonnenauf- oder -untergangspunkte bei Sonnwenden oder bei Tag-und-Nacht-Gleichen ausgerichtet. James und Thorpe weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass frühere Behauptungen, Stonehenge sei ein steinzeitlicher Computer, nicht haltbar sind. Gleichwohl gibt es zahlreiche Indizien für erstaunliche prähistorische himmelskundliche Kenntnisse, die nicht nur im magisch-religiösen Umfeld, sondern auch bei der Landwirtschaft große Bedeutung besaßen. Leider haben es die Autoren versäumt, diesen Aspekt hervorzuheben und beispielsweise mit astroarchäologischen Entdeckungen in Amerika zu illustrieren, obwohl altamerikanische Kulturen in anderen Kontexten erwähnt werden. Den Stern von Bethlehem interpretieren James und Thorpe als Komet und lassen zahlreiche konkurrierende Hypothesen unberücksichtigt, insbesondere die Nova aus dem Jahre 5 v. Chr. und die Hypothese, dass die Weisen aus dem Morgenland nicht einer Erscheinung am Himmel folgten, sondern einer außergewöhnlichen, aber unbeobachtbaren Konstellation am Morgenhimmel.Aber bei der Themenfülle des Buches wird kein Rezensent eine erschöpfende Darstellung erwarten, sondern sich vielmehr an den vielen informativen, gelungenen Passagen freuen. Einige kleine Fehler können den insgesamt positiven Eindruck des umfangreichen und preiswerten Buchs nicht schmälern. Empfehlenswert!

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 09/2001

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