Frau Pharao
Im alten Ägypten war Herrschen Männersache. Seit Menschengedenken geboten Pharaonen als "Herren der beiden Länder" (Ober- und Unterägypten) über das Reich am Nil. Stets ging das Königtum vom Vater auf den Sohn oder einen engen Vertrauten über – also vom Mann auf den Mann. Nicht so jedoch im Jahr 1479 v. Chr., als mit Hatschepsut eine Frau den Horus-Thron bestieg. Eine Art Betriebsunfall der Geschichte, der die Nachwelt bis heute zu allerlei Spekulationen anregt.
Peter Nadig, Privatdozent für Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin, nähert sich der Herrscherin streng anhand historischer Fakten. Er analysiert Inschriften, sichtet und interpretiert das archäologische Material und rezipiert die einschlägige Fachliteratur. So entsteht ein differenziertes und lesenswertes Buch über eine außergewöhnliche Frau, deren Regentschaft zu einer der segensreichsten im pharaonischen Ägypten gehörte.
Wann Hatschepsut geboren wurde, ist nicht bekannt. Man weiß aber, dass sie von 1479 bis 1458 v. Chr. auf dem Thron saß und als Regentin eines vermutlich natürlichen Todes starb. Sie war die legitime Tochter von Thutmosis I., dem Begründer der 18. Dynastie. Nach dessen Tod heiratete sie – entsprechend den damaligen Sitten zur Reinerhaltung des Bluts– ihren Halbbruder Thutmosis II., der allerdings auch schon bald das Zeitliche segnete. Da sie keinen gemeinsamen Sohn mit ihm hatte, rückte der noch unmündige Sprössling einer Nebenfrau zum Thronfolger auf: Thutmosis III.
Griff nach der Krone
Sofort erkannte Hatschepsut die einmalige Chance, die sich ihr bot, und übernahm anstelle ihres jungen Stiefsohns die Regierungsgeschäfte. Klug wie sie war, drängte sie Thutmosis III. aber nicht komplett zur Seite, sondern wies ihm einen Platz als Mitregenten zu. Sich selbst verlieh sie die vollständige Königstitulatur und trat von nun an als Pharao auf. Mittels einer frei erfundenen Geburts- und Krönungslegende – sie inszenierte sich als vom obersten Reichsgott Amun "erwählt" – legitimierte sie ihren Anspruch.
Hatschepsut verlieh ihrem Stiefsohn ehrenvolle Ämter und schickte ihn auf Kriegsschauplätze ins Ausland, wo sie ihn fern des königlichen Hofs wusste. Sie identifizierte sich so sehr mit der Rolle der Herrscherin, dass sie sich als Mann verkleidete und mit den Insignien eines männlichen Herrschers – Bart und Lendenschurz – darstellen ließ. Das wäre nicht möglich gewesen, hätte sie keine Unterstützung am Hof genossen. Vermutlich war es ihr gelungen, die wichtigsten Ämter mit Vertrauten zu besetzen. Mindestens von einem ist das aktenkundig. Senenmut, ein Mann bescheidener Herkunft, aber offenbar die Gunst der Pharaonin genießend, brachte es bis zum allmächtigen Minister. Er war es auch, der den Bau des spektakulären Totentempels im Talkessel von Deir el-Bahari leitete. Die Anlage mit ihren Terrassen, Säulenhallen und der breiten, ansteigenden Rampe gilt als eines der eigenwilligsten und bedeutendsten Zeugnisse ägyptischer Architektur. Hatschepsut ließ den Tempel mit hunderten Statuen ihrer selbst schmücken – kein Pharao der 18. Dynastie hat sich derart in Szene gesetzt.
Geschickte Regentin
Die Herrscherin führte ihr Land, und sie führte es gut. Sie trat als Sohn des Sonnengottes Re auf, der mit den Göttern sprach, den Nil fruchtbar über die Ufer treten ließ und als alleiniger Garant für die Maat, die göttliche Weltordnung, Ägypten vor dem Chaos bewahrte. Hatschepsut kümmerte sich in besonderer Weise um die Verhältnisse im Landesinnern und pflegte gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten. Sie setzte neue Impulse in Kunst und Kultur, ließ Tempel errichten und vernachlässigte Gebäude restaurieren. Thutmosis III. beschäftigte sie mit Feldzügen nach Nubien und Syrien; lediglich an einer militärischen Unternehmung, die nach Kusch am mittleren Nil führte, nahm sie selbst teil.
Einem anderen Projekt hingegen galt ihr ganzer Stolz, und sie schlachtete es propagandistisch entsprechend aus: die Expedition ins geheimnisvolle Weihrauchland Punt an der Küste des heutigen Somalia. Dieses Unternehmen ließ sie aufwändig per Wort und Bild im Tempel von Deir el-Bahari dokumentieren. Eine ungemein prestigeträchtige Reise, von der Schiffe voller exotischer Pflanzen und Tiere, Gold, Elfenbein und Ebenholz nach Ägypten zurückkehrten. Ganz besonders konnte Hatschepsut auf Weihrauch und Myrrhe verweisen – kostbare Harze, die für die Parfumherstellung und die Einbalsamierung der Toten unentbehrlich waren. "Niemals ist etwas Gleiches irgendeinem König seit Ewigkeit gebracht worden", heißt es auf einer Tempelwand in Deir el- Bahari.
Beinahe aus der Erinnerung radiert
Bis heute können wir nur vermuten, woran Hatschepsut starb. Sicher ist allerdings, dass ihr Stiefsohn Thutmosis III. versuchte, sich für die zwanzig Jahre zu rächen, in denen sie statt seiner auf dem Thron gesessen hatte. Er wollte das Andenken an sie auslöschen und ließ nach ihrem Tod ihre Statuen entfernen und ihre Namen und Reliefs aus Denkmälern herausmeißeln. Fast hätte er sein Ziel erreicht. Erst in der Neuzeit entrissen Ägyptologen die bemerkenswerte Frau dem Vergessen. Zunächst konnten sie sich keinen Reim auf den seltsamen Pharao mit Bart machen, der mit weiblicher Figur und weiblichen Titeln dargestellt wurde. Dann interpretierten sie die Frau als böse Stiefmutter, die ihrem Sohn die legitime Nachfolge verwehrt hatte. Erst die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts korrigierte diese männliche Perspektive und identifizierte Hatschepsut als Herrscherin, der es gelungen war, mehr als 20 Jahre lang erfolgreich die Staatsgeschäfte in einer ansonsten rein männlich dominierten Gesellschaft zu führen.
Im Licht der neueren Forschung ist dem Autor ein fundiertes, sachliches, dabei aber anregendes und fesselndes Buch gelungen. Auch ägyptologisch eher wenig bewanderte Leser bekommen hier eine recht verständliche Einführung in die Welt des Alten Ägyptens geboten.
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