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»Hiroshima«: Die Kriege sind nicht vorbei

Warum wurde die Atombombe entwickelt und gegen Japan auch eingesetzt? Richard Overy wählt einen originellen Zugang zu einem historisch weiterhin umstrittenen Thema.

»Der Krieg ist vorbei.« Diesen markanten Satz äußerte General Thomas Farrell im Juli 1945 unter dem Eindruck eines Tests, bei dem die erste Atombombenexplosion in der Geschichte der Menschheit stattfand. Damit drückte er aus, was sich Wissenschaftler, Militärs und Politiker von der Entwicklung dieser Superwaffe erhofft hatten: ein Ende des Kriegs im Pazifik, vielleicht sogar das Ende aller Kriege.

Als Präsident Truman die Nachrichten vom erfolgreichen Test und der baldigen Einsatzfähigkeit der Bombe erreichten, war er sicher, dass die Japaner aufgeben würden. Anfang August wurden dann zwei Atombomben abgeworfen. Hiroshima und Nagasaki wurden zu Symbolen für den Beginn des Atomzeitalters, denn sie leiteten eine Epochenwende ein – im politischen Bewusstsein, in der militärischen Kriegsführung und in der ethischen Urteilsbildung.

Über die verschiedenen Aspekte dieses einschneidenden Ereignisses sind schon viele Bücher geschrieben worden. Aber auch 80 Jahre nach den Abwürfen ist ihre historische Aufarbeitung immer noch nicht abgeschlossen, denn zwei zentrale Fragen bleiben umstritten: War die Zerstörung dieser Städte aus militärischer Sicht notwendig? Und war der Einsatz der Bombe historisch und ethisch gerechtfertigt?

In seinem Buch über Hiroshima gibt der – insbesondere durch seine Darstellung des Zweiten Weltkriegs etwa in »Weltenbrand« – bekannte Zeithistoriker Richard Overy diesen Fragen einen besonderen Akzent, indem er rekonstruiert, welche Bedingungen und Argumente dazu geführt haben, dass die USA die Atombombe entwickelt und schließlich auch eingesetzt haben.

Stringent entwickelt Overy, der an der University of Exeter lehrt, den Aufbau seines Buchs entlang dieser Fragestellung. Dabei gelingt es ihm, die Komplexität dieses Ereignisses auf seine wesentlichen Aspekte und Entwicklungen zu reduzieren und auf gut lesbaren 200 Seiten darzustellen.

In fünf Kapiteln wird der Leser in die schwierigen historischen Zusammenhänge eingeführt. Das erste Kapitel beleuchtet die Entstehung der amerikanischen Luftstreitkräfte und ihren Zustand zu Beginn des Kriegs – der nicht sehr beeindruckend war. Im zweiten Kapitel beschreibt der Autor die Möglichkeiten und Strategien der Luftwaffe im Krieg gegen Japan. Hier erfährt der Leser, dass die Diskussion um den militärischen Sinn und die ethische Vertretbarkeit von Flächenbombardements auf japanische Städte mit ihren erwartbar hohen zivilen Opferzahlen schon zu Beginn des Kriegs geführt wurde. Letztlich gab es diese Flächenbombardements, sie kulminierten im großen Angriff auf Tokio in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1945, einem der verheerendsten Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs.

Ein Perspektivwechsel

Der »Wettlauf der Wissenschaft« wird im dritten Kapitel aufgenommen, das die Rolle der wissenschaftlichen Forschung bei der Entwicklung der Atombombe schildert. Hier erfährt man auch, dass viele Politiker und Militärs zunächst nicht begriffen, dass mit dem militärischen Einsatz der Atomkraft eine Zeitenwende vollzogen wurde. Das vierte Kapitel unternimmt etwas Besonderes: Es beschreibt den Weg zur Kapitulation aus einer japanischen Perspektive, die für das westliche Denken nur schwer zu verstehen und nachzuvollziehen ist. Overy gelingt es, den grundlegenden Unterschied zwischen den gesellschaftlichen und politischen Systemen sehr klar darzustellen, dabei die Entwicklungen innerhalb Japans aufzunehmen und dem Leser so die innere Verfasstheit des Landes nahezubringen.

Überraschend ist, dass Overy die Gleichsetzung von ›Hiroshima‹ und ›Kapitulation‹ auflöst. Die Atombombe war, so seine Argumentation, nur ein Faktor unter vielen, die zur Aufgabe führten. Schon vorher habe es innerhalb der japanischen Führung Spannungen angesichts der Frage gegeben, ob man den Krieg beenden oder bis zur eigenen Vernichtung weiterkämpfen solle. Dabei spielten auch die inneren Krisen Japans eine Rolle, die sich durch Hunger und zunehmende Kriegsmüdigkeit aufgebaut hatten.

Den Nachwirkungen der Atombombenabwürfe in den Erinnerungs- und Gedächtniskulturen der beiden Länder widmet sich das ebenfalls interessant zu lesende fünfte Kapitel. Hier wird deutlich, dass auch die kulturelle Aufarbeitung dieses Ereignisses nicht ohne Widersprüche möglich ist. Und gut 80 Jahre nach Hiroshima muss man schließlich festhalten: Oppenheimers Hoffnung, die Explosion einer einzigen Atombombe habe eine derartige Schockwirkung, dass die Menschheit aufhören würde, Krieg zu führen, hat sich nicht erfüllt.

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