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Feurige Angelegenheit

Molekularpathologe Paul Knoepfler und seine Tochter erörtern, ob sich mit heutigen wissenschaftlichen Methoden ein Lindwurm hervorbringen ließe.

Wenn der Autor Michael Crichton bereits 1990 fiktive Forscher ersann, die Dinosaurier erschufen, dann erstaunt es nicht, wenn drei Jahrzehnte später Wissenschaftler planen, einen Drachen zu kreieren. Oder? Tatsächlich trifft man bei Internetrecherchen immer mal wieder auf Menschen, die diesem Unterfangen mehr oder weniger ernsthaft nachgegangen sind. Zwei davon sind Paul Knoepfler und seine Tochter Julie, die ihre Gedanken und Erkenntnisse in jenem Buch niedergeschrieben haben. Immerhin: Der 53-jährige Knoepfler ist promovierter Molekularpathologe an der University of California in Davis und gilt als einer der 50 einflussreichsten Stammzellforscher der Welt. Wird also in einigen Jahren der erste von ihm erweckte Drache seine Pranken auf die Erde setzen?

Tatsächlich hat man nach der Lektüre des Buchs eine recht solide Vorstellung davon gewonnen, wie diese Frage zu beantworten ist. Sie überrascht kaum, denn schon der Untertitel des Buches gibt den entscheidenden Hinweis: »Ein satirischer Blick auf Spitzenwissenschaft«. Einen Drachen zu erschaffen, das wird schnell klar, war nie das Anliegen des Autorenduos, das selbst schreibt: »Wir wollten die Wissenschaft und die Medien ein wenig (okay, eine Menge) dafür auf die Schippe nehmen, dass sie neue Forschungsergebnisse über Wert verkaufen.« Entsprechend humorvoll fallen etliche Formulierungen und Ideen aus; entsprechend übertrieben sind manche Eigenschaften, von denen die Autoren erwägen, sie ihrem Drachen zu verleihen; entsprechend wenig ernst nehmen Vater und Tochter das titelgebende Vorhaben.

Für die Hollywood-Variante entschieden

Der Drachenbau, er liefert den roten Faden für eine Reise durch diverse, vornehmlich biologische Wissensgebiete. Die Reise beginnt mit der globalen Vielfalt an mythischen Vorstellungen davon, wie ein Drache aussieht (am Ende entscheiden sich die Autoren für die Hollywood-Variante als Grundlage ihrer weiteren Recherche). Weiter geht es damit, was nötig ist, um dem Drachen die Flugfähigkeit zu verleihen, ihm Feuerspucken zu ermöglichen und das richtige Maß an Intelligenz zu geben. Dabei lernen die Leser, dass der Flugsaurier Quetzalcoatlus wahrscheinlich eine Flügelspannweite von 16 Meter hatte; dass der Bombardierkäfer Explosionen im Hinterteil erzeugt, um mit Säure zu schießen; und wie der Zitteraal seine Stromstöße hervorbringt. Es sind Trivia wie diese, die das Buch lesenswert machen. Unterm Strich ist das Muster in jedem Kapitel ähnlich: Wie hat die Natur die jeweilige Aufgabe schon einmal gelöst? Wie funktioniert das? Welche der Lösungen wäre für einen Drachen am besten geeignet? Welche Probleme bleiben zunächst ungelöst?

Auch die biologischen Verfahren, mittels derer Schritt für Schritt aus existenten Tieren wie dem Komodowaran oder einem großen Greifvogel ein Drache gezüchtet werden könnte, stellen die Autoren vor – von CRISPR-Cas über chimäre Embryonen bis zur Klonierung. Das geschieht gut verständlich, geht aber selten in die Tiefe. Im Geleitwort verweisen Vater und Tochter auf ein Schulprojekt der Tochter als Initialzündung für das Buch. Tatsächlich wirkt das Werk über weite Strecken wie ein sehr umfangreiches Schulreferat. Für Jugendliche im Alter von Julie Knoepfler ergibt das wahrscheinlich einen reizvollen, kompetenten und manchmal humorigen Einblick in die Welt der Wissenschaft. Ältere und naturwissenschaftlich versiertere Leser dürften sich an der fehlenden Stringenz stören: Man merkt schnell, dass es den Autoren nicht darum geht, die besten Optionen des Drachenbaus zu ermitteln, sondern darum, genussvoll durch die Biowissenschaften in ihrer ganzen Breite zu flanieren.

Was jedoch selbst jüngere Leser ärgern könnte, ist die Redundanz. So manche Überlegung, wie diese oder jene Dracheneigenschaft entwickelt werden könne und welche Probleme dabei bestehen, taucht mal mehr, mal weniger ausführlich an drei, vier oder fünf Stellen des Buchs auf. Noch öfter erscheint die Frage, auf welche Weise die jeweilige Entscheidung zum Tod der Drachenschöpfer führen könnte. Ein zusätzliches Kapitel über weitere mythische Wesen und mögliche Ausgangsorganismen, um diese zu erschaffen, wirkt aufgepfropft. Offensichtlich hätte ein striktes Lektorat sowie das Eindampfen der Seitenzahl auf vielleicht zwei Drittel des jetzigen Umfangs dem Werk gutgetan. So muss man – bei allen interessanten Geschichten, die sich im Buch verbergen – mindestens ein Drachenauge zudrücken, um in Deutschland eine Leseempfehlung für das nur in Englisch vorliegende Buch auszusprechen. Denn Jugendliche, die am ehesten die Zielgruppe bilden, dürften hier zu Lande an der Sprachbarriere scheitern.

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