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Aus Fehlfunktionen lernen

Es zwickt und zwackt nicht, ihm wird niemals zu kalt oder zu warm – der gesunde Mensch spürt sein Gehirn in der Regel nicht. Doch der "Mieter in unserem Oberstübchen", wie die Auto­ren das Gehirn nennen, kann dennoch Probleme bereiten. Ulrich Dirnagl ist Leiter der Abteilung für experimentelle Neurologie an der Charité Berlin, Jochen Müller ist Neurobiologe, Science-Slammer und Autor.

Die Arbeitsweise des Gehirns müsse man über Umwege erschließen, heißt es in dem Buch – sprich, über Fehlfunktionen wie Migräne, Schlaganfall oder Epilepsie. Denn der sonst in Frage kommende wissenschaftliche Weg, Stück für Stück des Organs zu entfernen oder auszuschalten und dann zu beobachten, wie sich das auswirkt, kommt logischerweise nicht in Frage.

Was niemand haben möchte

Der Band ist in sechs Kapitel unterteilt, die sich jeweils mit bestimmten Komplikationen befassen: Kopfschmerzen und Migräne, Schlaganfall, Epilepsie, multiple Sklerose, Parkinson, Alzheimer. Dank der klaren Struktur, jeweils mit einem Steckbrief zu Beginn und einer Zusammenfassung am Ende jedes Abschnitts, kann man problemlos querlesen.

Um die Aufgabenverteilung im Gehirn sowie seine Fehlfunktionen zu verdeutlichen, bedienen sich Dirnagl und Müller der "Mensch-Maschine-Analogie". Beispielsweise beim Schmerzpfad: Der Hirnstamm wird zum Pförtner, der Thalamus zur Vorzimmerdame, und der Kortex ist der Chef des Ganzen. Das macht es einfach, den Autoren auf ihrer Reise durchs Gehirn zu folgen.

Die Verfasser betonen, dass sie ihr Werk nicht als Patienten­ratgeber verstehen, sondern als Beschreibung eines "Forschungsobjekts". Dennoch leiern sie keine nüchternen biologischen Details herunter, sondern sind nah dran an den Betroffenen und formulieren einfühlsam. Unter anderem verweisen sie auf die Problematik des arzneimittelinduzierten Kopfschmerzes oder geben Tipps, wie sich Migräne­attacken dämpfen lassen, beispielsweise durch Betablocker. Diese wirkten, so die Autoren, als würde man dem "Hypothalamus Ohrenschützer aufsetzen", indem sie das Hormon Noradrenalin bremsen.

Alarmzeichen bei Gehirnschlag

Auch an anderen Stellen gibt das Duo konkrete Tipps, zum Beispiel mit welchen einfachen Tests man einen Schlaganfall bei einem Mitmenschen erkennt: Die oder der Betroffene soll lächeln oder mit geschlossenen Augen beide Arme heben. Gelingt dies nur auf einer Seite, gilt es, sofort den Notarzt zu rufen. Beim Thema Alzheimerdemenz betonen die Autoren, dass diese auch nach 110 Jahren Forschung keineswegs verstanden sei – und selbst die gängige Amyloid-Hypothese inzwischen umstritten. Prävention sei dagegen "kinderleicht": Körperliche Aktivität könne das individuelle Risiko, an Alzheimer zu erkranken, fast halbieren.

Das Buch enthält diverse historische Abrisse und stellt Meilensteine des jeweiligen Forschungsgebiets sowie Therapiemöglichkeiten vor. An der einen oder anderen Stelle hätten sich die Autoren dabei durchaus kürzer fassen können. Für die Bebilderung sorgen Darstellungen im Comicstil. Diese sind liebevoll gestaltet, erfordern jedoch ein wenig Interpretationsgabe. Klare, schematische Darstellungen wären an einigen Stellen hilfreicher gewesen.

Der Band wendet sich an interessierte Laien, die es den Autoren eher verzeihen, wenn einer den anderen inszeniert unterbricht: "Sorry, Jochen, dass ich mich kurz hier einmische. Ich denke, wir sollten an dieser Stelle kurz Fritz Kahn einführen...". Diese Textstelle ist typisch für den Stil des Werks: humorvolle, direkte Ansprache der Leser, Wir- oder Ich-Form. Das unterhält zunächst, nutzt sich jedoch schon bald ab. Wer aber ausschließlich jene Kapitel liest, die ihn interessieren, wird sich davon nicht übermäßig gestört fühlen.

Das Werk ist leicht zu lesen, bietet einen umfassenden und strukturierten Überblick über häufige Hirnerkrankungen sowie den aktuellen Stand der Forschung. Wer anregende Unterhaltung sucht und sich nicht von den Überschriften in Comic-Sans-Schrift abschrecken lässt, wird mit diesem Buch viel Spaß haben.

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