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Kiemen und Flossen

Die Meeresbiologin Helen Scales beschreibt die erstaunlich vielfältige Welt der Fische.

Dieses Buch handelt von Fischen – und stellt erst einmal klar, dass sich gar nicht so einfach sagen lässt, was Fische eigentlich sind. Denn diese Tiere bilden keine natürliche Einheit. Sie haben nur ähnliche Merkmale, wie Helen Scales betont, die Autorin des Buchs. Scales arbeitet als Meeresbiologin an der University of Cambridge, ist begeisterte Taucherin und hat an diversen BBC-Dokumentationen mitgewirkt.

Im Mittelalter zählte man oft alles, was im Wasser lebt, zu den Fischen – einschließlich Walen, Flusspferden, Delfinen und Ottern. Aus heutiger Sicht wirkt das komisch, ist aber bei genauerem Hinsehen gar nicht mal so falsch. Denn was die Verwandtschaftsverhältnisse anbelangt, gehören die Landwirbeltiere mitsamt dem Menschen zu den Fleischflossern und damit zu den Knochenfischen. Tatsächlich sind im menschlichen Körperbau zahlreiche Fischmerkmale angelegt, wie beispielsweise der Paläontologe Neil Shubin in seinem Buch »Der Fisch in uns« (2008) erläutert hat.

Schwierige Einordnung

Natürlich wäre es im Alltag wenig hilfreich, auch die Landwirbeltiere als Fische zu bezeichnen. Eine praktischere Definition muss her. Scales erörtert dieses Problem in ihrem Buch recht ausführlich und zieht dabei verschiedene wissenschaftshistorische Werke heran. Sie kommt zu dem Ergebnis: Fische sind Wasserwirbeltiere, die Kiemen und Flossen besitzen. Von diesem Ausgangspunkt macht sich die Autorin auf, diverse Geschichten aus der Unterwasserwelt zu erzählen.

Scales schildert den großen Reichtum an Farben, den Fische ausprägen, und deren weit verbreitete Fähigkeit, mittels Lumineszenz zu leuchten. Sie beschreibt, wie sich Fische im Schwarm orientieren, in riesigen Zahlen zum Laichen zusammenkommen und auf welch verblüffende Arten sie interagieren und kooperieren. Die Meeresbiologin erzählt von giftigen Fischen und solchen mit elektrischen Organen, befasst sich mit dem breiten Laut- und Geräuschspektrum der Tiere sowie deren Hörvermögen. Zudem legt sie dar, was sich aus Fischfossilien herauslesen lässt und wie es Wissenschaftlern gelang, Evolution in Echtzeit an Guppys zu beobachten.

Immer wieder flicht die Autorin ihre eigenen Taucherlebnisse ein und berichtet von ihren Forschungsarbeiten. Wiederholt kommt sie auf die Themen Fischfang, Überfischung und Meeresverschmutzung zu sprechen. Das letzte Buchkapitel widmet sie den erstaunlichen kognitiven Fähigkeiten der Fische, die erst ansatzweise erforscht sind. Verschiedene Versuchsergebnisse deuten darauf hin, dass die Tiere ein Empfindungsvermögen haben, manche vielleicht sogar ein Bewusstsein – was laut Scales die Frage aufwirft, warum Fische nach wie vor als »niedere Lebewesen« gelten, die anderen Wirbeltieren wie Hunden, Pferden oder Katzen vermeintlich nicht gleichgestellt sind.

Was die Autorin schreibt, ist durchweg gut verständlich, interessant und unterhaltsam. Auch Kurioses erfahren die Leser, etwa, dass Ohrsteine (»Otolithen«) von Fischen vielerorts immer noch als Heilmittel, Glücksbringer oder Aphrodisiakum gelten. Fisch-Sagen aus verschiedenen Ländern runden das Werk ab. Ein wenig schade ist, dass der Band nur wenige Bilder und andere optisch abgesetzte Elemente enthält. Auf den Deckblättern der Kapitel finden sich dekorierende Schwarz-Weiß-Zeichnungen, darüber hinaus gibt es ein paar vereinzelte Grafiken. Der Anhang mit Glossar, ergiebigem Literaturverzeichnis und Register bietet aber eine gute inhaltliche Orientierung.

»Im Auge des Schwarms« ist eine erbauliche Lektüre für alle, die sich für die Wasserwelt und die Lebewesen darin interessieren.

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