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»Im Reich der Bären«: Wenn die Wildnis vor der Haustür beginnt

Wie Menschen und Bären trotz aller Konflikte zusammenleben könnten, zeigt Moritz Kloses kenntnisreiches Buch über die großen Wildtiere in unserer Nachbarschaft.

»Bären der Welt, meidet Bayern.« Das sagte der damalige Präsident des Deutschen Naturschutzrings Hubert Weinzierl am 26. Juni 2006 nach dem Abschuss des Bären »Bruno«. Er war seit 1835 der erste frei lebende Bär auf deutschem Boden und versetzte die bayerischen Behörden damals in einen Ausnahmezustand. Nach 28 Tagen endete er durch eine Gewehrkugel. Kein Mensch war verletzt worden, allerdings hatten 68 Schafe ihr Leben verloren.

Man kann Moritz Kloses »Im Reich der Bären« als einen Appell verstehen, (wieder) zu lernen, was nicht mehr möglich schien: dass Bären und Menschen zusammenleben. Der Weg dazu erfordere, so der Autor, Verständnis, Anpassungsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Er ist sich sicher: »Das bayerische Alpenvorland droht jedenfalls nicht dadurch unterzugehen, dass der Bär zurückkehrt.«

Zu Beginn der Lektüre hatte ich die Befürchtung, dass dies ein weiteres Buch über Bären sein könnte, wie es in der letzten Dekade praktisch jährlich erschienen ist. Aber so einfach liegen die Dinge hier nicht. Der Autor ist geschäftsführender Vorstand der »NABU International Naturschutzstiftung«, leitete die Wildtierarbeit für den WWF in Deutschland und Europa und ist mit seinen 38 Jahren bereits sehr viel herumgekommen. Dabei suchte und sucht er stets nach Möglichkeiten für ein möglichst konfliktarmes Zusammenleben zwischen den »Großen Drei« – Wolf, Bär und Luchs – auf der einen und Bauern, Schäfern, Förstern, Tierhaltern, Jägern und »besorgten« Bürgern auf der anderen Seite. Wer dieses Buch des routinierten Wildbiologen gelesen hat, erkennt: Das kann gelingen.

Vorgestellt werden zunächst alle acht heute noch lebenden Bärenarten. Klose widmet ihnen jeweils ein eigenes Kapitel, das über Bestand, Vorkommen und Gefährdung der einzelnen Arten aufklärt. Dabei wird ganz nebenbei berichtet, dass nach dem »Living Planet Index«, der die Bestandsdaten von etwa 5500 Wirbeltierarten beinhaltet, die durchschnittliche Größe der beobachtbaren Wildtierpopulationen in den letzten 50 Jahren (1970–2020) um 73 Prozent geschrumpft ist. Eine erste Information zum Vorkommen von Bären findet sich bereits im vorderen Einband: Dort ist eine Karte abgebildet, die grob visualisiert, wo sich welcher Bär findet.

Der Autor hat einiges über alle Bärenarten zu berichten, denn er hat sie alle kennengelernt und fotografiert – die 32 farbigen Abbildungen befinden sich in der Mitte des Buchs. Es sind keine »Starfotos«, sondern gute und brauchbare Ergänzungen zum Text. Zu allen hat Klose wissenschaftliche Erkenntnisse und auch persönliche Erfahrungen beizutragen, manchmal humorvoll, manchmal leider traurig.

Ein Bär als Medienereignis

Ein ganzes Kapitel ist »Bruno« gewidmet, dessen Tod damals die Presse und auch so manche Marketingabteilung als »perfektes« Thema aufgriffen. Es gab T-Shirts mit dem Konterfei des Bären, Trauerfahnen, Plüschtiersonderaktionen, »Haribo« präsentierte eine Sonderedition von Schaumzuckerbonbons, Schulklassen schrieben Gedichte, und es existierte anderes mehr. Die bayerische Staatsregierung legte immerhin einen Bärenmanagementplan vor, und allen Bürgern dieses schönen Bundeslandes wurde klar, dass die Wildnis vor ihrer Haustür beginnt.

»Bruno« war ein Braunbär (Ursus arctos) – eine Art, zu der 14 Unterarten gehören. Der Braunbär kommt heute (wieder) in 28 europäischen Staaten vor, allein in den Karpaten gibt es circa 9000 Exemplare. Eine besondere nordamerikanische Unterart ist der Grizzlybär (Ursus arctos horribilis), der in der Öffentlichkeit oft ungewöhnlich negativ bewertet wird; das deutet darauf hin, wie die Tiere einst dämonisiert wurden. Amerikanische Braunbären im Bild einzufangen, ist heute das Ziel unzähliger Fotografen, man zeigt sie vor allem beim Lachsfang in den Gewässern Alaskas. Dabei fressen die Tiere (noch) so gewaltige Mengen an Fisch, dass sie wählerisch sein können und oft nur Haut und Rogen (die Gesamtheit der reifen Eier weiblicher Fische) zu sich nehmen. Der Rest der Fische bleibt auf dem Waldboden zurück, ist ein wichtiges Düngemittel und Voraussetzung für das Bestehen eines bestimmten Ökosystems. Sollte der Lachsbestand weiter abnehmen, naht hier ein ernstes Problem.

Wenn im Zoo ein Bärenjunges zur Welt kommt, erfährt man das mit Sicherheit über das Fernsehen. So gut wie dort haben es Bärenbabys in freier Wildbahn nie. Besonders schlimm ist es in Rumänien, wo ein korruptes System in der Holzindustrie für Verluste unter den Bären sorgt. Wenn dort in den Herbst- und Wintermonaten Holz geschlagen wird, kann es sein, dass die Bärin aus der Winterschlafhöhle flieht und ihre Jungen (es sind durchschnittlich 1,3–2,5, maximal 5) allein lässt. Sie sind nicht überlebensfähig, denn der Nachwuchs ist im Verhältnis zur Mutter winzig klein: Ein Junges hat nur weniger als ein Prozent der Größe der Mutter, ist dazu nackt und blind. In einer privaten Aufzuchtstation hat der Autor erlebt, wie man die Jungen groß und unabhängig vom Menschen aufzieht. Ihm gelingt eine sehr einfühlsame Schilderung eines an sich selbstverständlichen Vorgangs.

Am Ende des Buchs geht es noch einmal nach Bayern und speziell um die Frage, ob und, wenn ja, wie ein Kompromiss zwischen Nutztierhaltung (Schafe, Rinder, Bienen) und der Duldung eingewanderter Bären aussehen könnte oder ob es zu deren Abschuss kommen müsse. Hier werden ausführlich und in deutlichen Worten einzelne Optionen wie Herdenschutzhunde, Stallhaltung und Elektrozaun diskutiert, die an anderen Stellen im Buch bereits angeklungen waren. Dabei fällt so manche bürokratisch-groteske Formulierung auf, etwa wenn Behörden angesichts der Anwesenheit von Wolf oder Bär Herdenschutz unter bestimmten Bedingungen als »nicht zumutbar« einstufen. Auf einen solchen Begriff muss man erst einmal kommen.

Den Schluss des Buchs bilden Literaturhinweise und ein sehr gutes Glossar mit allen Fachbegriffen des Texts. Im hinteren Einband werden – wie in einem Comic – Verhaltensmaßnahmen bei Begegnungen mit Bären dargestellt. Ich hoffe, dass sie nie jemand anwenden muss.

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