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Strapaziöse Reise zu gefährdeten Tieren

15.000 Kilometer im Rollstuhl, um gefährdete Primaten zu schützen: Dieses Buch erzählt von einer ungewöhnlichen Reise.

Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten und sehr präsent im öffentlichen Bewusstsein, nicht zuletzt dank prominenter Fürsprecher. Bei den Schimpansen übernimmt seit vielen Jahrzehnten die Verhaltensforscherin Jane Goodall diese Rolle, ohne deren Forschung und unermüdliche Aufklärung wir viel weniger über die Tiere wüssten. Unsere Kenntnisse über Gorillas hingegen sind untrennbar mit der Zoologin Dian Fossey verbunden, die im Kongo von Wilderern ermordet wurde.

Es gibt noch eine weitere Menschenaffenart, die bisher zwar vergleichsweise wenig beachtet wird – nun aber einen ungewöhnlichen Kämpfer für ihre Sache gefunden hat. Die Orang-Utans Südostasiens sind mittlerweile stark gefährdet, vor allem weil ihr Lebensraum von Tag zu Tag schwindet. »Zuerst kamen die Holzbarone, dann die Palmöl-Unternehmen – die ehemaligen Regenwälder haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu großen Teilen in eine grüne Wüste aus stacheligen Ölpalmen verwandelt, um die herum jedes andere Leben mit Pestiziden vernichtet wird«, heißt es dazu in dem Buch »Im Rollstuhl zu den Orang-Utans«. Herausgegeben hat das Werk der 28 Jahre alte Benni Over, der sich seit Jahren für die rothaarigen Primaten einsetzt. Wie aus dem Untertitel hervorgeht, befasst sich das Buch mit Overs »Reise um die halbe Welt, um den Regenwald zu retten« – eine Expedition, die speziell für ihn eine außerordentlich große Herausforderung darstellte.

Engagement unter erschwerten Bedingungen

Over leidet an Duchenne-Muskeldystrophie, einer erblichen Muskelschwäche, die langsam voranschreitet und bei ihm im Alter von vier Jahren diagnostiziert wurde. Mittlerweile kann er nur mehr sein Gesicht und die Fingerspitzen bewegen, sitzt seit vielen Jahren im Rollstuhl und ist auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Das Internet war und ist ihm das Tor zur Welt und zu den Orang-Utans, für die er sich seit einem Zoo-Besuch begeistert. Die Faszination war so groß, dass er zusammen mit seiner Familie und anderen Helfern das Kinderbuch »Henry rettet den Regenwald« (2017) verfasste und selbst illustrierte. Aus diesem Projekt heraus entstand ein Trickfilm, der vor allem Grundschülern die Not der Menschenaffen nahebringen soll.

Den Orang-Utan Henry gibt es wirklich: Er lebt auf der Insel Borneo, dem neben der indonesischen Insel Sumatra einzig verbleibenden Rückzugsgebiet dieser Menschenaffen, und Benni Over hat für ihn eine Patenschaft übernommen. Warum also nicht den rothaarigen Zögling vor Ort besuchen? Von Niederbreitbach in Rheinland-Pfalz bis nach Kalimantan auf Borneo überwand Over eine Entfernung von rund 15.000 Kilometern. Diese Reise um die halbe Welt wäre für jede(n) strapaziös, selbst bei bester Gesundheit. Umso fordernder ist sie, wenn der Rollstuhl das einzige Fortbewegungsmittel darstellt, die Atmung technisch unterstützt werden muss und permanent ein schwerer medizinischer Notfall droht. Ärzte und Fluggesellschaften zu finden, die ein solches Vorhaben unterstützen, ist enorm schwierig, wie Familie Over herausfinden musste.

Wie die Reise trotz vieler Hürden – von tropischer Hitze bis zu eingestürzten Brücken – dennoch zum Erfolg wurde, lässt sich in dem Buch nachlesen, das die Journalistin und Buchautorin Christina Schott verfasst hat. Sie lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Südostasien und weiß daher, worüber sie schreibt. Ihr unaufgeregter Stil tut der Geschichte gut, macht das Werk leicht lesbar und dennoch sehr informativ. Die Autorin erzählt Overs Geschichte, schildert seinen Besuch auf Borneo und streut abwechselnd Kapitel über die Orang-Utans, über Hilfsorganisationen im Regenwald, über die regionale Geschichte und Politik sowie über die lokale Kultur ein.

Billiges Palmöl als Rohstoff für fast alles

Besonders prominent behandelt Schott den Raubbau an der Natur Borneos. Die Botschaft lässt sich kurz zusammenfassen: Wenn der Wald leidet, leiden die Orang-Utans, die Menschen – und die ganze Welt. Da ist zum Beispiel die Brandrodung, die massiv zum Klimawandel beiträgt, aber immer noch angewendet wird, um große Flächen für Plantagen urbar zu machen. Letztere liefern billiges Palmöl, von dessen weltweiter Produktion Indonesien und Malaysia nicht weniger als neunzig Prozent bestreiten. Wie die Autorin schreibt, enthält nach Schätzungen von Umwelt-und Verbraucherschutzorganisationen etwa jedes zweite Supermarktprodukt Palmöl. Das Fett wird unter anderem Waschmitteln und Lippenstiften, Duschgelen und Shampoos, Fertigpizzen und Speiseeis beigemischt, soll künftig aber auch große Mengen an Biokraftstoff liefern.

Es braucht also Fürsprecher für den Regenwald Borneos – solche wie Benni Over. Dem Buch zufolge entfaltete sein Einsatz für den rothaarigen »Waldmenschen«, wie sich das malaiische Wort Orang-Utan übersetzen lässt, auch in der Ferne beachtliche Wirkung. So gab es viele berührende Begegnungen zwischen Einheimischen und dem schwerkranken Mann, der diese für ihn so gefährliche Reise auf sich nahm und damit die Bedeutung des Arten- und Naturschutzes auf Borneo betonte. Das lesenswerte Werk dokumentiert Overs Besuche bei verschiedenen Hilfsorganisationen auf Borneo und gewährt so einen Einblick darein, welche Anstrengungen in diesem Bereich unternommen werden.

Nicht alle verfolgen denselben Ansatz, das Ziel aber ist gleich: Die bedrängten Orang-Utans brauchen Schutz und Hilfe, und verletzte Tiere sowie verwaiste Jungaffen müssen versorgt werden, um sie nach Möglichkeit wieder in sicheren Gebieten auswildern zu können. Die meisten Leser werden hier viel dazulernen, insbesondere auch im Hinblick auf den hiesigen Konsum. Der vergleichsweise einfache und unkomplizierte Stil des Werks könnte sogar eine Gruppe mit besonders großem Zukunftspotenzial erreichen. Kinder und Jugendliche, die gegen die Zerstörung des Planeten protestieren, welche sie selbst nicht initiiert haben, finden hier einen Anstoß, das eigene Handeln zu überdenken – spätestens beim Griff zur nächsten Tiefkühlpizza.

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