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»In 74 Fragen durch das Universum«: Fehlerhafte Reise durchs Weltall

Locker geschrieben, ansprechend gestaltet – aber leider trüben zu viele (Übersetzungs-)Fehler den Lesegenuss.
Das Hubble Ultra Deep Field zeigt das Licht Tausender von Galaxien aus einer Zeit, in der das Universum weniger als eine Milliarde Jahre alt war

Die junge amerikanische Autorin ist promovierte Astrophysikerin und lehrt am privaten Oberlin College in Oberlin, Ohio. Ihr Buch ist 2022 in den USA unter dem Titel »Astroquizzical. Solving the Cosmic Puzzles of our Planets, Stars and Galaxies« erschienen. Hierfür hat Jillian Scudder 74 Fragen zusammengestellt und gibt ausführliche Antworten. Die Konkurrenz bei populärwissenschaftlicher Literatur über das Universum ist groß. Viele Bücher sind empfehlenswert – sie setzen den Standard: kompetent, verständlich geschrieben, mit schönen Abbildungen und ansprechender Aufmachung. Natürlich verfehlen einige Werke das Ziel. Bei ausländischen Büchern ist zusätzlich wichtig, dass das Original fachlich korrekt und verständlich ins Deutsche übertragen wurde. Für die Übersetzung war hier eine Englisch stämmige, heute in Kanada lebende Sprachwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Wirtschaft zuständig. Ich ahnte Schlimmes – und meine Befürchtung sollte sich leider bewahrheiten.

Das 224-seitige Paperback-Buch wird vom Schweizer Verlag Haupt publiziert; Naturwissenschaft gehört allerdings nicht zu seinen Schwerpunkten. Der äußere Eindruck ist gut. Das Buch ist ansprechend gestaltet und verwendet edles Papier, was bei dem moderaten Preis bemerkenswert ist. Jede der 74 Fragen wird in der Regel auf einer Doppelseite behandelt. Viele farbige Astrofotos (einige ganzseitig) und Grafiken liefern zusätzliche Informationen. Die Fragen sind auf sieben Kapitel verteilt, thematisch geordnet nach der Entfernung – von »Der Himmel über uns« bis »Das Universum«. Eingestreut sind zehn als »Gedankenexperiment« gekennzeichnete Fragen. Dabei geht es um spekulative, mitunter kuriose Themen, wie »Wenn die Menschen große Raumschiffe für den Orbit um die Erde bauen könnten, würden wir sie tagsüber sehen?«. Hier versetzt die Autorin einen Flugzeugträger in eine Umlaufbahn und vergleicht die optische Erscheinung mit der ISS. In einem anderen Fall geht es um die Frage: »Was für ein Gedrängel gäbe es, wenn es eine Tür gäbe, durch die man auf die Mondoberfläche treten könnte?« Darauf muss man erstmal kommen.

Bei Frage 1 »Was können wir auf der Erde wirklich vom Universum sehen?« ging wohl etwas schief. Der dreizeilige Untertext wird nochmal komplett wiederholt. Viel gewichtiger als dieser redaktionelle Fauxpas sind die vielen inhaltlichen Fehler und sprachlichen Mängel, die oftmals in Kombination auftreten. In meiner privaten Hitliste der rezensierten Bücher mit den meisten kritischen Anmerkungen am Rand nimmt das von Scudder einen unrühmlichen Spitzenplatz ein. Einige Beanstandungen beziehen sich auf die Übersetzung oder betreffen die Redaktion. Es gibt aber auch solche, die wohl auf das Konto der Autorin gehen. Ich kann hier aus Platzmangel nur eine kleine Auswahl an Beispielen präsentieren.

Bei der Frage »Warum funkeln Sterne?« wird die atmosphärische Lichtbrechung als »Beugung« bezeichnet. Auch die zugehörige Grafik ist inkorrekt: Der scheinbare (gerade) Lichtweg endet nicht tangential am realen (gekrümmten). Da ich mir kaum vorstellen kann, dass die Autorin Brechung und Beugung verwechselt hat, vermute ich einen Übersetzungsfehler, der auf Unkenntnis der Physik beruht. Mein Eindruck wird durch viele andere Fälle gestützt. Statt der deutschen Fachausdrücke werden oft eigene Kreationen präsentiert. Bei der Sonne lesen wir, sie werde »formal als Sol bezeichnet« – das klingt nach Sciencefiction. Die Ansammlung der Asteroiden zwischen Mars und Jupiter wird »Planetengürtel« genannt. Für die Astronomische Einheit wird statt AE die englische Abkürzung »au« verwendet. Der Luftdruck ist in »Pfund pro Quadratfuß« angegeben – war die Umrechnung zu kompliziert? Dann heißt es inkorrekt »Grad Kelvin«.

Hauptproblem des Buches ist die Sprache. Ein Deutschlehrer würde ständig »Ausdruck!« an den Rand schreiben. Der Text ist nicht flüssig, die Formulierungen oft umständlich bis unklar, was das Lesen anstrengend macht (als Rezensent muss man da durch). Die Folge sind missverständliche Aussagen. Ein Experte weiß, was gemeint ist, für Laien dürfte vieles aber verwirrend sein. Ich kann mir kaum vorstellen, dass auch das Original diese Mängel aufweist. Wo war hier die Schweizer Redaktion? Nervig ist die übertriebene Redundanz im Text: Eine seltsame Formulierung wird durch eine ebenso seltsame Variation nicht besser. Harmlos sind da noch »lange Wellenlänge«, »flache Ebene«, »zentraler Kern«, »erdrückender Druck«, »unendlich kleine Singularität« oder »Gravitationsgewicht«. Gar nicht zusammenpassen wollen Kombinationen wie »aufwärtsgerichteter Druck« (bekanntlich gibt es einen Unterschied zwischen Skalar und Vektor).

Die scheinbare Helligkeit des »Viertelmonds« ist mit –10 angegeben; hier ist natürlich der Halbmond gemeint (engl. »Quarter Moon«). Der populäre »Supermond« wird zunächst richtig durch die um 42 000 Kilometer nähere Bahnposition erklärt. Dann heißt es aber, dass dies der Mond sei, der »der Erde am nächsten kommt, wenn auch nur um ein paar Millimeter«. Hier ist offenbar die Veränderung der Mondbahn durch Gezeitenreibung gemeint. Weiter heißt es: Der Mond »wendet uns stets die beleuchtete Seite zu«. Der Leser ist verwirrt, wenn er die zugehörige, korrekte Grafik betrachtet. Angaben in Grafik und Text stimmen oft nicht überein. Wie soll man erkennen, was richtig ist?

Manchmal sind Fehler systematischer Natur: Die Gürtelsterne Alnitak und Alnilam des Orion sind im Text und in der Abbildung vertauscht (Alnitak ist der linke). Ferner werden dessen hellsten Sterne als »Alpha Orionos« beziehungsweise »Beta Orionos« bezeichnet (falscher Genitiv). Dazu heißt es: »Die Bayer-Bezeichnung wurde für eine Reihe von Jahren verwendet« – tatsächlich gilt die von Johann Bayer 1603 eingeführte Schreibweise bis heute! Für die Autorin ist übrigens »Tau Ceti« ein »schwierig zu merkender Name«. Bei einem Stern in der Cassiopeia steht in der Abbildung »H« statt κ (Kappa). Auch wird der Große Wagen mit dem Sternbild Großer Bär gleichgesetzt; der Unterschied sollte eigentlich bekannt sein. Dann lesen wir den kryptischen Satz: »Sternbilder sind nichts anderes als das menschliche Gehirn, das sich Geschichten über den Nachthimmel ausdenkt.«

Seltsam klingt auch »Wir haben auch Wassereis in einer Reihe von Kratern um unser Sonnensystem gefunden«; wie kann man hier »um« und »in« verwechseln? Verwirrend ist die Aussage: »Ein Proton ist ein Bestandteil eines Atoms, das sich im Kern eines Elements befindet.« Zur Absorption heißt es: »Im Prinzip ist es die Methode, die hinter einem herkömmlichen Ofen steht, einem Sonnenbrand oder wenn man die Hand über eine heiße Oberfläche hält.« Im Gegensatz dazu »bewegt Konvektion die Teilchen um sich selbst herum«. Seltsam klingt Folgendes: Je näher man einem Schwarzen Loch kommt, »desto schneller müsste man gehen, um in einer Rakete zu entkommen«. Das Licht ferner Galaxien »ist bereits sehr alt, wenn es die Erde erreicht«; diese Objekte zeigen auch die »größten Lichtverschiebungen«. Wer die falsche Verwendung der Begriffe »stationär« und »statisch« zu verantworten hat, ist unklar.

Einige Mängel muss man wohl der Autorin anlasten. »Nur wenige Dinge sind nötig, um das Polarlicht zu erzeugen: dunkler Himmel, ein Magnetfeld und ein aktiver Stern.« Was ist mit der Atmosphäre? In einer Grafik dreht sich die Erde sogar um ihre Magnetachse. Auch bei der Erklärung der Gezeiten wird ein wichtiger Faktor unterschlagen: der Schwerpunkt des Erde-Mond-Systems. Schickt man einen gebündelten Lichtstrahl zum Mond, streuen »sogar die Laser mit der größten Wellenlänge« (richtig wäre die kleinste). Auch wird behauptet, Gammastrahlen hätten eine 1000-mal kleinere Wellenlänge als sichtbares Licht (richtig wäre 100 000-mal). Man erfährt auch, dass »Stickstoff selten als Eis auf der Erde vorkommt« (kein Wunder bei einem Schmelzpunkt von –210 Grad Celsius). Dann gibt es immer wieder inkonsistente Angaben. Zunächst ist der Überriese UY Scuti 1700-mal größer als die Sonne, wenige Sätze weiter dann 2000-mal.

Zur Milchstraße lesen wir, sie sei »proportional gesehen viel dünner als ein Blatt Papier«. Das Gegenteil ist richtig: Ein A4-Blatt ist ca. 30-mal dünner, und man müsste schon einen 1-cm2-Schnipsel nehmen, um die galaktische Scheibe zu simulieren. Ein massiver Stern wird zur Supernova, nachdem er »Milliarden Jahre lang in der Phase des Wasserstoffbrennens verharrt hat« (Millionen wäre korrekt). Zu Doppelsternen heißt es: »Da die Mehrheit dieser Sterne keine eineiigen Zwillinge sind, haben sie nicht die genau gleiche Masse.« Sind eineiige Zwillinge immer gleich schwer? Der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs sollte »in drei Dimensionen eine Kugel sein« (er ist stets eine sphärische Fläche). Rotation wird übrigens überhaupt nicht erwähnt, auch nicht bei der Akkretionsscheibe. Zu Gravitationswellen erfahren wir schließlich: »Diese haben extrem große Wellenlängen, so dass das menschliche Ohr sie normalerweise nicht hört.« Da muss man eben besser hinhören!

Man könnte viele Mängel als Kleinigkeiten abtun, sie prägen aber das Gesamtbild. Vielleicht bin ich auch zu pingelig, schließlich wird das Buch bei Amazon mit fünf Sternen bewertet. Es gibt also Leser, die es wegen der schönen Abbildungen und des lockeren Texts sehr gut finden. Ich will das nicht kritisieren. Ob sie aber ein fachlich eindeutiges Bild der modernen Astrophysik bekommen, ist zu bezweifeln. Hilfreich wäre, einen Fachmann oder eine Fachfrau zu fragen. Ironischerweise bietet das Buch genau dies an – leider nicht mit der nötigen Seriosität und Effektivität. Dann bleibt nur andere, von Experten empfohlene Literatur (hier verzichtet die Autorin auf Hinweise). Der Weg zur Erkenntnis ist bekanntermaßen schwierig, aber mit der Zeit wird sich ein konsistentes Weltbild ergeben.

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