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»Intelligenz«: Was IQ-Tests messen

Eine leicht verständliche und unterhaltsame Lektüre, der es an keiner Stelle an Tiefgang fehlt. Eine Rezension.
Absolventin

Was ist eigentlich Intelligenz? Wie misst man sie und was sagen die Ergebnisse so genannter IQ-Tests tatsächlich aus? Diesen und vielen weiteren Fragen widmet sich der österreichische Psychologe und Intelligenzforscher Jakob Pietschnig. Zum Einstieg erzählt er kurzweilig und humorvoll, wie man herausgefunden hat, dass die Hauptaufgabe des Gehirns weder die Produktion von Nasenschleim noch die Kühlung des Bluts ist, sondern dass sich dort tatsächlich der Sitz unseres Denkens und unserer Persönlichkeit befindet. Im weiteren Verlauf des Buchs geht er darauf ein, inwieweit es beim Gehirn auf die Größe ankommt, ob tatsächlich Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen bestehen und welche wissenschaftlichen Theorien es zur Intelligenz gibt.

Auf die Frage, was genau Intelligenz nun eigentlich ist, kann er nur eine näherungsweise Antwort geben: Eine Rolle spielten dabei sowohl Begabung, Klugheit und Wissen. Eine eindeutige wissenschaftliche Definition von Intelligenz gibt es Pietschnig zufolge bisher nicht – was jedoch Forscher nicht daran hindert, Intelligenz messen zu wollen. In einer Kapitelüberschrift schließt sich der Autor daher der lakonischen Definition des amerikanischen Experimentalpsychologen Edwin Boring (1886–1986) an: »Intelligenz ist das, was Intelligenztests messen.«

Pietschnig selbst beschäftigt sich beruflich mit der Konstruktion neuer Intelligenztests. Einen großen Teil seines Buchs widmet er dementsprechend den Möglichkeiten und Grenzen von Intelligenztests, ihrer praktischen Bedeutung beispielsweise im Militär, im Bildungssystem und im Justizvollzug sowie der historischen Entwicklung der ersten Intelligenztests und des Konzepts des Intelligenzquotienten (IQ). Ausführlich geht er zudem auf das Thema Hochbegabung ein. Dabei betont er immer wieder: Auch wenn man manchen berühmten Genies mangelnde Alltagstauglichkeit nachsagt, bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass fehlende praktische Fähigkeiten auf Hochbegabung hindeuten. Pietschnig rät Eltern zu einem gelassenen Umgang bezüglich der Intelligenz ihres Kindes, gibt aber auch fundierte Tipps, wie Eltern ein hochbegabtes Kind optimal fördern können. Im Gegensatz zum gängigen Klischee des »zerstreuten Professors« belegt der Autor anhand von Studien, dass hohe Intelligenz in der Regel mit überdurchschnittlicher geistiger und körperlicher Gesundheit einhergeht und mit beruflichem Erfolg assoziiert ist.

Schlauer oder dümmer?

Ein weiteren Schwerpunkt des Werks bildet die Frage, wie sich die durchschnittliche Intelligenz in der Bevölkerung entwickelt. Der amerikanische Politikwissenschaftler James Robert Flynn (1934–2020) wies in den 1980er Jahren nach, dass Menschen in verschiedenen Ländern der Welt seit Jahrzehnten immer besser in IQ-Tests abschnitten. Werden wir also im Vergleich zu vorigen Generationen immer schlauer? Pietschnig diskutiert verschiedene mögliche Ursachen für diesen so genannten Flynn-Effekt, darunter bessere Beschulung, bessere Ernährung und weniger gesundheitliche Probleme im Kindesalter, die die Entwicklung der Intelligenz beeinträchtigen könnten.

Zudem berichtet er auch vom gegenteiligen Effekt, dem »Anti-Flynn-Effekt«: Seit einigen Jahren stagniert nämlich in vielen Ländern die Zunahme des IQs oder kehrt sich sogar um. Werden wir also wieder dümmer? Auch hier erläutert der Autor mögliche Erklärungen. Er stellt dar, dass Hypothesen wie die, dass sich weniger intelligente Menschen mehr fortpflanzen oder dass Migration zu einer Abnahme der durchschnittlichen Intelligenz führe, wissenschaftlich nicht haltbar sind. Aus seiner Sicht könnte vielmehr die zunehmende Spezialisierung ein Grund dafür sein, warum wir in IQ-Tests schlechter abschneiden: Wie bei einem Zehnkampf komme es in den Tests darauf an, in vielen verschiedenen Bereichen gute Leistungen zu erbringen. Wer sich besonders auf eine Disziplin fokussiert, schneidet schlechter ab. Wir werden demnach nicht dümmer, sondern nur schlechter in IQ-Tests.

Abschließend widmet sich Pietschnig verbreiteten Mythen zur Intelligenz, etwa, dass das Hören von Mozart-Sonaten die Intelligenz fördere und dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen würden. Seine Botschaft: Klingt eine Methode, die Intelligenz zu steigern, zu gut, um wahr zu sein, ist sie meistens auch nicht wahr. Möglich sei es aber durchaus, die Intelligenz bei sich selbst oder den eigenen Kindern zu fördern. Training spiele dabei allerdings eine geringere Rolle als gemeinhin angenommen. Vielmehr hängt dem Autor zufolge viel von Umweltfaktoren ab. Bei alten Menschen beispielsweise wirken sich soziale Kontakte positiv auf den Erhalt der kognitiven Fähigkeiten aus, bei Kindern spielt der Erziehungsstil der Eltern ebenso eine Rolle wie eine gesunde Ernährung.

Das Buch bietet einen gelungenen Überblick über das Thema und ist dank des lockeren Erzählstils und der guten Gliederung leicht lesbar und unterhaltsam. Die wenigen verwendeten Fachwörter werden verständlich erklärt und farbige Grafiken veranschaulichen die Aussagen.

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