Spannende Geschichte(n)
Beim ersten Blick ins Inhaltsverzeichnis wird die außergewöhnliche Anlage des neuen Buchs des englischen Journalisten und Historikers Justin Marozzi erkennbar: Es geht jeweils um die Geschichte einer Stadt im Jahrhundert ihrer Blütezeit, beginnend mit Mekka im 7. und endend mit Doha im 21. Jahrhundert. Dazwischen beschreibt der Autor 13 weitere Städte und Imperien, welche die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens ihrer Zeit geprägt haben.
Von Córdoba über Kabul nach Samarkand
Diese Gestaltungsidee macht das Buch von vornherein interessant. Selbstverständlich begegnen dem Leser legendäre Metropolen wie Damaskus, Bagdad und Istanbul. Aber es tauchen auch Städte auf, von denen man nicht unbedingt gedacht hätte, sie hätten in dieser Reihe einen Platz, wie etwa Fes, Kabul, Samarkand oder Beirut.
Die Geschichte der islamischen Reiche ist in Europa nicht sehr bekannt, denn die europäische und die islamische Welt hatten über viele Jahrhunderte hinweg nicht viel miteinander zu tun. Häufig hatten sie wegen einer für sich selbst in Anspruch genommenen kulturellen Überlegenheit an der anderen Seite kein Interesse – oder begegneten sich auf kriegerischer Ebene. Umso spannender sind die Entdeckungen, die man in den einzelnen Kapiteln des Werks machen kann.
Die Landkarte am Anfang des Buchs macht zunächst die geografische Ausbreitung der unterschiedlichen islamischen Reiche in ihren Epochen sichtbar: Von Córdoba und Fes im Westen bis hin zu Samarkand und Kabul im Osten, Istanbul im Norden und Mekka und Dubai im Süden reichte – und reicht teilweise heute noch – der Einfluss der Kalifate, Imperien und Staaten.
Justin Marozzi versteht es, eigene Erfahrungen aus den geschilderten Städten in seine Beschreibungen einzubinden. Diese Einschübe machen die Lektüre spannend und helfen, einen anderen Blick auf die Welt des Islam zu bekommen, insbesondere wenn es darum geht, die heutigen politischen, religiösen und kulturellen Verhältnisse zu erfassen.
Neben einem fundierten Wissen der geschichtlichen Ereignisse spürt man die Begeisterung des Autors für die islamische Kultur. Die lebendigen Schilderungen der Moscheen, Paläste, Stadtmauern, Plätze und Gärten lässt den Wunsch aufkommen, diese Orte zu besuchen. Auch das Einflechten zeitgenössischer Erzählungen aus oft jahrhundertealten Reiseberichten trägt dazu bei.
Ein weiteres Augenmerk legt Marozzi auf die wirtschaftliche Entwicklung in den islamischen Imperien, die bisweilen zu einem immensen, kaum vorstellbaren Reichtum führte. Dieser konnte genauso schnell wieder verschwinden, durch den Abbruch von Dynastien, Kriege, religiöse Streitigkeiten oder die Verlagerung wirtschaftlicher Macht.
Auch hinsichtlich der Kriegsgeschichte ist das Buch spannend. Die Kämpfe und Kriege zwischen den muslimischen Reichen und Machthabern wurden erbittert und brutal geführt. Besonders ragt dabei Samarkand im 14. Jahrhundert unter dem muslimischen Führer Timur heraus. Von Zentralasien aus eroberte er einen Großteil der islamischen Welt, seine Kriegszüge forderten Millionen Opfer und hinterließen zerstörte Städte. Selbst dem aufstrebenden Osmanischen Reich brachte Timur 1402 in der Schlacht bei Ankara eine Niederlage bei.
Besonders auffällig ist der sorgsame Umgang Marozzis mit Vorurteilen und Stereotypen. Man merkt, dass er eine ausgeglichene Darstellung der islamischen Kulturen anstrebt – was ihm durchaus gelingt. Anders als es in vielen wissenschaftlichen und journalistischen Darstellungen üblich, verzichtet der Autor darauf, in Schwarz-Weiß-Malereien zu verfallen im Stil von »der gute Islam – der böse Westen« oder »der gute Westen – der böse Islam«.
Das Zusammenleben der drei abrahamitischen Religionen im muslimischen Córdoba des 10. Jahrhunderts war beispielsweise nicht immer von Harmonie geprägt. Für Christen bedeutete die muslimische Herrschaft einen enormen gesellschaftlichen Abstieg, der unter anderem mit einer höheren Steuerbelastung verbunden war. Die jüdische Gemeinschaft erlebte hingegen einen gesellschaftlichen Aufstieg als geschützte Minderheit – ein Status, den sie unter den spanischen Westgoten nicht hatten. In den folgenden Jahrhunderten schlug das Pendel des Zusammenlebens, der »convivencia«, mal in die eine und mal in die andere Richtung aus, bisweilen auch innerhalb einer Generation.
»Islamische Imperien« ist kein Buch, das man schnell in einem Zug durchliest. Dafür sind die behandelten Geschichten zu komplex, die Schilderungen zu dicht. Aber es regt zum Stöbern an, denn es bietet tiefe Einblicke in die islamische Geschichte und trägt zum Verständnis dieser Religion in der heutigen Welt bei.
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