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Überdehnte Macht

Im Reich Karls V. ging die Sonne niemals unter. Dennoch – oder deshalb – scheiterte der Kaiser.

Als König von Spanien, Herzog von Burgund, Erzherzog von Österreich (bis 1522) und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs (1519-1556) gebot der Habsburgerherrscher Karl V. über ein weltumspannendes Imperium, in dem die Sonne nie unterging. Es nach seinem Willen zu formen, war diesem Global Player jedoch nicht vergönnt. So lautet die Quintessenz dieses Buchs. Karl Schilling, emeritierter Professor für Europäische Geschichte der frühen Neuzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, beschreibt Karl darin als eine heroische und zugleich tragische Herrschergestalt, die »vor den Fliehkräften der Zeit kapitulieren musste«.

Stärker als bislang in der Forschung praktiziert, versucht Schilling darin, Karls Handeln aus dessen Persönlichkeit heraus zu ergründen. Der Autor schildert den Kaiser als verschlossenen, tief im katholischen Glauben verwurzelten und von hohen christlichen Moralvorstellungen geleiteten Monarchen. Seine kirchentreue Lebensführung als Ehemann, die ritterliche Behandlung seiner Gegner (freies Geleit Luthers nach dem Reichstag von Worms 1521) und das Verbot, Indigene in den amerikanischen Kolonien zu versklaven, seien Ausdruck dieser wertebasierten Haltung gewesen, so Schilling.

Viele Probleme auf einmal

Gleichzeitig skizziert der Autor die Zeitumstände, die Leben und Wirken des Habsburgers maßgeblich prägten. Karls Sozialisation im kulturell reichen Burgund am Hof seiner Tante Margarete von Österreich wird ebenso tiefgründig ausgeleuchtet wie die Auswirkungen bahnbrechender Erfindungen (Buchdruck), theologischer Umwälzungen (Reformation) und außereuropäischer Entdeckungen. So war Karl V. mit vielen Problemen auf einmal konfrontiert. Dazu gehörten die aufreibenden politischen Auseinandersetzungen im Reich und in den iberischen Königreichen Kastilien und Aragon, der wieder aufgeflammte Konflikt mit dem Papst um eine weltliche beziehungsweise geistliche Zentralgewalt, die Bedrohung der Christenheit durch die immer weiter expandierenden Osmanen, der Dauerkonflikt mit Frankreich um die europäische Vorherrschaft und die konfessionelle Auseinandersetzung mit der Reformation.

Verschärft wurden all diese Konflikte durch Karls ideologisch-politische Herrschaftskonzeption der »monarchia universalis«, die sich mit der Vorstellung eines Abendlands katholischer Prägung verband, das unter Karls Führung stehen sollte. Schilling legt überzeugend dar, dass dieser Anspruch den politischen Ordnungsvorstellungen der Zeit widersprach. Weder die übrigen gekrönten Häupter Europas noch die ständischen Partikulargewalten im Heiligen Römischen Reich seien gewillt gewesen, sich einem Universalherrscher bedingungslos unterzuordnen. Statt sein Reich zu befrieden, so Schilling, versetzte Karl es am Ende in Aufruhr, indem er durch unbedingten Absolutheitsanspruch dazu beitrug, dass sich die ständische und konfessionelle Opposition im Reich solidarisierten und die Interessen äußerer Gegner konvergierten (etwa in Form der »unheiligen Allianz« zwischen Franz I. und Süleyman). Hinzu kam, dass dem Kaiser eine kohärente Strategie fehlte; dass er gleich an mehreren Fronten parallel kämpfen musste; und dass die Bruchlinien zwischen den verschiedenen Teilen der habsburgischen Besitzungen, die mangels eines einheitlichen Machtapparats zu Tage traten, zu einer Überdehnung der Kräfte führten.

Schilling hat eine erfrischend lebendige, tiefgründige und lesenswerte Darstellung über Karl V. vorgelegt. Demnach lag die Tragik des Kaisers darin, dass »zwischen prätendierter Macht und erbrachter Herrscherleistung« eine große Lücke klaffte. Als Wahrer der christlichen Einheit und des Friedens angetreten, musste Karl schließlich einsehen, dass er mit seinem Konzept einer Universalmonarchie und einer modernisierten, aber geeinten Kirche gescheitert war. Und zwar sowohl gegenüber den Reichsfürsten, die sich keinen Zentralstaat aufzwingen lassen wollten; als auch gegenüber der Reformation, die die Einheit der Kirche zerstörte; sowie gegenüber Frankreich, das auch weiterhin gegen Karls Universalanspruch aufbegehrte; und nicht zuletzt gegenüber den Osmanen, deren Expansionsdrang sich nicht eindämmen ließ.

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