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Stoffe mit Einfluss

Sechs Geschichten erzählen, wie Kohlenstoff, Gummi oder Heroin die menschliche Gesellschaft beeinflusst haben.

»Stoffgeschichten« nennt der Autor Jens Soentgen seine Beiträge über weithin bekannte, brisante oder hoch relevante Molekülverbindungen. Mit ausgewählten konfliktbeladenen Substanzen beschäftigt er sich in sechs Kapiteln: Kohlenstoffdioxid, Stickstoff, Nitrosprengstoffe (etwa Nitroglycerin oder TNT), Gummi, Heroin und Aspirin. Dabei geht der Chemiker und Philosoph weniger auf deren chemische Details ein. Vielmehr möchte er darstellen, wie sich diese Chemikalien außerhalb der Labore auf unsere Kultur und unser Zusammenleben auswirken. Dabei ist ihm ein flüssig zu lesendes, unterhaltsames Werk gelungen, das man auch ohne chemische Kenntnisse lesen und verstehen kann.

Soentgen fragt, in welchen Kontexten und mit welchen Zielen die Stoffe erforscht wurden und welche Folgen sie für die Gesellschaft hatten. Dabei findet er oft versteckte oder weniger bekannte Fakten. Es reizt ihn, Widersprüche in den Bildern aufzudecken, die sich die Öffentlichkeit von den jeweiligen Substanzen macht. Etwa beim Stickstoff: Der erhielt seinen wenig freundlichen Namen zwar auf Grund seiner erstickenden Wirkung, zeigt aber lebensspendende Eigenschaften in seiner Form als Nitrat – als Dünger für die Lebensmittelproduktion.

Vom Schmerzmittel zur harten Droge

Ein weiteres Beispiel ist Heroin. Heute ist es als süchtig machende harte Droge bekannt, hatte aber nicht immer einen so schlechten Ruf. Es wurde fast zeitgleich mit Aspirin und vom selben Mitarbeiter der »Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer und Co.« 1897 als Schmerzmittel hergestellt; das »-in« am Ende beider Stoffnamen war bei Medikamentenbezeichnungen gebräuchlich. Bayer vermarktete Heroin jahrzehntelang in großen Mengen als Husten- und Schmerzmittel – gerade in den verqualmten Industriestädten half es bei Lungenkrankheiten und allen Arten von Keuchhusten. Der Vorstandschef von Bayer sandte es mit besten Genesungswünschen an einen Kollegen, Mütter gaben es ihren Kindern. Erst als Heroin nicht mehr so stark nachgefragt wurde und die Produktion zurückging, »hatte [es] damit auch nicht mehr die mächtige deutsche Pharmaindustrie im Rücken« und wurde aus der klinischen Anwendung entfernt, verboten und kriminalisiert, schreibt Soentgen. Wobei es gerade bei schwersten Schmerzen, etwa bei unheilbar erkrankten Krebspatienten, rasch Linderung verschaffe und wenig Nebenwirkungen habe – abgesehen von der Abhängigkeit.

Zu den konfliktbeladenen Stoffen zählt der Autor auch Kohlenstoffdioxid, das schon den antiken Griechen und Römern Sorgen bereitete. Höhlen, in denen sich das Gas in tödlichen Konzentrationen ansammelte, sahen sie als Tore zur Unterwelt, wo man den Atem des Hades spüren könne. Doch die Menschen lernten dieses Gas zu nutzen, etwa als Zusatz für Sprudelwasser in der Getränkeindustrie, bis es als Treibhausgas wieder in Misskredit fiel. Es habe jedoch Nachteile, sich im Umweltschutz so sehr auf Kohlenstoffdioxid zu konzentrieren, meint Soentgen. Er führt zahlreiche gravierende Umweltprobleme an, die der Ausbau erneuerbarer Energie nach sich ziehe. Die »Dekarbonisierung« gehe in vielen Fällen zu Lasten der Natur, nicht immer würden Naturschutzziele beachtet. Er führt aber auch aus, wie so genannte Klimaskeptiker die Debatte für ihre Zwecke nutzen, und vergleicht deren publizistischen Kampf gegen die wissenschaftliche Empirie mit dem Streit um Darwins Evolutionstheorie.

Wer nach der Buchlektüre vertieft nachlesen will, findet in den Anmerkungen zahlreiche Quellenangaben. Der Anhang mit Anmerkungen, Quellen und Namensverzeichnis macht fast 25 Prozent des Werks aus.

Grundlegende wissenschaftliche Fragen, etwa wie Stoffe definiert werden oder wie die stoffgeschichtliche Methode in der Forschung aussieht, erläutert der Autor in der Einleitung und im Schlusskapitel. Diese eher theorielastigen Teile sind unter anderem aus Soentgens Habilitationsschrift hervorgegangen. Neuere Texte und Literatur hat er bis Mitte 2018 berücksichtigt.

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