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»Kreuzfahrer«: Gott will es

Wie eng Propaganda und Kriegsführung zusammenhängen, zeigt die Geschichte der Kreuzzüge eindrücklich. Dan Jones erzählt sie spannend und informativ.

Wie hätte Alexios I. Komnenos, Kaiser von Byzanz, ahnen können, dass einer seiner Briefe den Lauf der Geschichte verändern sollte? Im Jahr 1091 bat er die Mächtigen Westeuropas um Militärhilfe gegen die Seldschuken, ein Turkvolk, das die östlichen Grenzen seines Reichs und dessen Hauptstadt Konstantinopel bedrohte. Nun waren die Beziehungen der Byzantiner zum Westen recht kompliziert, doch Alexios begründete sein Anliegen mit der Behauptung, die Bedrohung seines Reichs sei gleichzeitig ein Angriff der Muslime auf die Christenheit. Bischöfe würden vergewaltigt, Knaben gewaltsam beschnitten, heilige Stätten zerstört.

Bei Papst Urban II. rannte er mit dieser Propaganda offene Türen ein. Im mächtigen Kloster Cluny erzogen, hatte Urban eine Politik der christlichen Expansion verinnerlicht. Unter anderem unterstütze Cluny die Reconquista, die Rückeroberung Spaniens von den Mauren. Auf einer Synode im März 1095 forderte Urban II. Tausende Laien und Kleriker auf, im Namen Gottes gegen die Heiden zu ziehen. Danach tourte er mit dieser Botschaft durch Südfrankreich und agitierte am 25. November auf einem Konzil in Clermont gegen die Gräueltaten der Türken. Aber diesmal verlangte er nicht allein Militärhilfe für Konstantinopel, sondern gleich auch die Rückeroberung Jerusalems. Und er versprach jedem, der das Kreuz nehme, den Erlass aller Sünden. Begeistert skandierte sein Publikum: »Gott will es«. Dass reiche Beute lockte, tat das Seine, eine Armee aufzustellen beziehungsweise ihr beizutreten.

Ihre erste Bewährungsprobe absolvierte diese vor Nicäa (heute das türkische İznik), Hauptstadt eines Seldschukensultanats. »Riesige Mauern mit Türmen, die von Katapulten gekrönt waren, schützten drei Seiten der Stadt«, schildert Autor Dan Jones die Ausgangslage. Ein großer See machte die vierte Seite uneinnehmbar und gewährleistete zudem Nicäas Nachschub mit Material und Lebensmitteln. Mehrere Wochen lang gelang den Angreifern kaum mehr, als einen Teil der Stadtmauer zu untergraben und zum Einsturz zu bringen. Doch die Bresche wurde mit Schutt verfüllt. Erst das Eingreifen Kaiser Alexios‘ wendete das Blatt. Der hatte Schiffe über Land transportieren lassen, und mit ihrer Hilfe konnten die Ritter auch vom See aus angreifen beziehungsweise die Stadt aushungern. Dass Griechen und Lateiner hier kooperiert und dadurch gesiegt hatten, wurde von den Zeitgenossen durchaus bemerkt.

Der Historiker und Publizist Dan Jones verkörpert geradezu die angelsächsische Tradition, die wissenschaftliche Expertise mit erzählerischem Können verbindet – zuletzt etwa in »Mächte und Throne« und so auch in diesem Buch. Dabei liegt es in der Natur des Themas, dass er den Belagerungen und Feldschlachten viel Raum gibt. Er betrachtet aber immer wieder auch die Rahmenbedingungen der diversen Kreuzzüge. Wie vereinbarten die Krieger die Botschaft Christi mit dem Abschlachten ihrer Feinde? Hatte der Gottessohn nicht den Frieden gelehrt, das Hinhalten der anderen Wange? Es wird deutlich, dass den Menschen des Mittelalters der Gott des Alten Testaments vertrauter war – Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Päpstlich legitimiertes Töten

Mit solchen Fragen befassten sich Theologen spätestens, seitdem das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reichs geworden war, denn das gründete seine Macht und seinen Reichtum nun einmal wesentlich auf Eroberung und Unterwerfung. Der Kirchenvater Augustinus formulierte dazu die Kriterien eines »gerechten Krieges«. Insbesondere müsse man ihn für eine gute Sache führen und von einer Autorität wie dem Papst billigen lassen. Derart abgesichert ließ sich die Rückeroberung des Heiligen Landes als eines jeden Christenmenschen moralische Pflicht legitimieren.

Im Sommer 1099 erreichten die Kreuzfahrer Jerusalem. Nach wochenlanger Belagerung fiel die Stadt am 15. Juli. Tagelang wüteten die Eroberer, erschlugen Muslime und Juden, plünderten ihre Häuser und heiligen Stätten. Die Rhetorik von Kaiser Alexios und Papst Urban II. wurde nun mit umgekehrtem Vorzeichen blutige Wirklichkeit – Christen wurden zu Schlächtern der vermeintlichen Schlächter. Zeitgenössische Chronisten deuteten den Genozid um: damit habe sich eine Prophezeiung des Johannes erfüllt.

Mit der »Befreiung« allein war es freilich nicht getan, denn im Heiligen Land bildeten die Kreuzfahrer eine Minderheit. Zur Festigung ihrer Macht gründeten sie eigene Reiche, die allerdings keinen Bestand hatten. Keine 50 Jahre später fiel bereits die Grafschaft Edessa, und auch Jerusalem geriet unter Druck. Ein zweiter Kreuzzug wurde ausgehoben, endete aber mit einem Unentschieden, was den Willen der muslimischen Nachbarn zur Vertreibung der Christen stärkte. Ende September 1187 fiel Jerusalem, der Westen stand unter Schock, und Papst Gregor VIII. mahnte, wer angesichts der Ereignisse nicht weine, habe nicht nur seinen Glauben verloren, sondern auch jegliches menschliche Empfinden. Noch im Herbst dieses Jahres begannen die Vorbereitungen für den dritten Kreuzzug.

Eine Armee zog 1189 unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa auf dem Landweg gen Osten, der französische König Philipp II. Augustus und der frisch gekrönte englische Regent Richard Löwenherz fuhren auf verschiedenen Routen über das Mittelmeer. Das erste militärische Ziel war die Rückeroberung der Stadt Akkon im Königreich Jerusalem. Weil Kaiser Barbarossa unterwegs ertrank und in seinem Heer eine Seuche tobte, fiel diese Aufgabe den unter dem Kreuz vereinten Erzfeinden Frankreich und England zu.

Es gelang ihnen, Akkon einzunehmen, bei der Verteilung von Beute und Macht zerbrach die Allianz aber wieder, die Franzosen kehrten nach Europa zurück. Allein konnte Richard Löwenherz Jerusalem nicht stürmen, sondern lediglich dem muslimischen Anführer Saladin das Versprechen abringen, christlichen Pilgern ungehinderten Zugang zu den heiligen Stätten zu gewähren. Da ihm zudem sein Thron in England abhanden zu kommen drohte, kehrte auch Richard dem Heiligen Land den Rücken.

Im 13. Jahrhundert rivalisierten die Kreuzfahrerstaaten untereinander, statt zu kooperieren, so dass sie einer neuen Bedrohung wenig entgegenzusetzen hatten: Ägypten war zur Großmacht aufgestiegen und schickte sich an, die »Ungläubigen« aus dem Heiligen Land endgültig hinauszuwerfen. 1291 eroberte es Akkon, und innerhalb weniger Wochen flohen die Bewohner des Königreichs Jerusalem nach Zypern. Für viele Historiker endete damit das Zeitalter der Kreuzzüge, für andere erst mit der vollständigen Rückeroberung Spaniens von den Muslimen 1492. Dafür, dass sie die Beschäftigung mit dieser prägenden Epoche immer wieder aufs Neue anstoßen, darf man Historikern wie Dan Jones dankbar sein.

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