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»Leben der Stimme«: Wer hören will, muss fühlen

Hans Ulrich Gumbrecht versucht, das allgegenwärtige Phänomen der Stimme begrifflich zu fassen. Sein Buch ist zuweilen anspruchsvoll, lohnt aber die Mühe

In einem Interview mit dem »Spiegel« sagte der deutsche Schauspieler und Synchronsprecher Rufus Beck einmal: »Die Stimme ist viel größer als die visuelle Erscheinung eines Menschen.« Dass jemand, der unter anderem als Hörbuchsprecher für die »Harry Potter«-Reihe Bekanntheit erlangte, so etwas sagt, verwundert nicht. Dennoch dürften auch andere dieser Aussage zustimmen. Denn wenn wir eine Stimme hören, machen wir uns über Assoziationen oder Vorstellungen häufig ein »Bild« der entsprechenden Person, auch wenn wir sie noch gar nicht gesehen haben.

Das ist die Ausgangssituation für die Überlegungen von Hans Ulrich Gumbrecht, deutsch-amerikanischer Literaturwissenschaftler, Publizist und emeritierter Professor für Komparatistik an der Stanford University. In seinem Buch versucht er, das allgegenwärtige Phänomen der Stimme begrifflich zu umreißen. Über sieben Kapitel beleuchtet der Autor die Stimme aus psychologischer, historischer, philosophischer, soziologischer und theologischer Sicht.

Damit wagt sich Gumbrecht, wie er selbst anmerkt, an ein durchaus heikles Unterfangen. Denn die Stimme sei ein Thema, »das sich gegen eine epistemologisch kohärente und diskursiv zusammenhängende Darstellung sträubt«. Aus dieser Erkenntnis leitet der Autor zweierlei ab: Er arbeitet immer wieder mit bisweilen sehr persönlichen Anekdoten, in denen er etwa über seine Kindheit oder Familie spricht; und er wählt mit dem Essay eine eher offene Form, die einem schwer auf den Begriff zu bringenden Thema entspricht.

Gleichwohl hätte eine Einleitung, die Methodik und Ziel des Werks umreißt, dem Buch gutgetan. So geht es nach dem Inhaltsverzeichnis etwas direkt in medias res. Gumbrecht arbeitet zunächst detailliert seinen Kerngedanken heraus: In der Stimme durchdringe die Materialität unsere Realität sozusagen »von unten« – im Gegensatz zur Spiritualität, deren Transzendenz »von oben« in unsere Wirklichkeit gelange. Der Autor betont damit die physischen und physiologischen Grundlagen der Stimme: Ihre Erzeugung und ihre Wahrnehmung basieren auf physikalischen Prinzipien, die nur in Verbindung mit Materie (etwa dem Trommelfell) wirksam werden können. Das Hören einer Stimme lässt somit zugleich die Materialität der anderen wie die der eigenen Person zu wahrnehmbaren Tatsachen werden.

Philosophie und Stadiongesänge

Bereits an diesem recht abstrakten Gedanken wird deutlich: Gumbrechts Einlassungen zur Stimme sind keine leichte Kost. Besonders solche philosophischen Passagen werden Leser, die keine entsprechende Vorbildung besitzen, vor einige Rätsel stellen. Dabei entwickelt Gumbrecht seine Gedanken gern auch in Anknüpfung an andere Denker wie etwa Roland Barthes – Texte dieses und einiger anderer Philosophen zu kennen, hilft, dieses Buch in seiner Gänze zu verstehen.

Andere Passagen beschäftigen sich dagegen mit ganz alltäglichen Situationen. So berichtet der Autor etwa von einem Fußballspiel in einem brasilianischen Stadion, in dem die Stimmen der gemeinsam singenden Fans eigentlich erst ihren Zusammenhalt konstituieren. An Stellen wie diesen, die eher auf Alltagsbeobachtungen und soziologischen Überlegungen fußen, kann man dem Autor auch ohne philosophisch-begriffliche Vorbildung leicht folgen. Dazu trägt wesentlich Gumbrechts Sprache bei, denn gerade in solchen Abschnitten kommt das »Leben der Stimme« in einem einnehmenden, ja fast gefälligen Stil daher.

Wer also etwas tiefer über die geheimnisvolle Art und Weise nachdenken möchte, in der Stimmen unser Leben prägen, und dabei nicht vor philosophischer Begrifflichkeit zurückschreckt, wird dieses Buch mit Gewinn lesen.

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