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Außenseiter in turbulenten Zeiten

Vom zeitgenössischen Humanismus trennte ihn seine mangelnde Bildung, und auch sonst lag Leonardo da Vinci mit seinen Zeitgenossen über Kreuz.

Das Bild »Salvator Mundi«, das mutmaßlich von dem italienischen Universalgenie Leonardo da Vinci stammt, wurde 2017 für sagenhafte 400 Millionen Dollar versteigert. »Dabei ist die Zuschreibung an Leonardo alles andere als sicher«, schreibt Volker Reinhardt. Der Historiker, der an der Uni Fribourg lehrt, legt mit diesem Buch eine neue Biografie da Vincis (1452-1519) vor.

Noch bekannter als »Salvator Mundi« ist da Vincis Ölgemälde »Mona Lisa«, das laut dem Autor wohl »berühmteste Kunstwerk der Menschheit.« Auch im schulischen christlichen Religionsunterricht spielt Leonardo eine wichtige Rolle. Dort müssen sich die Schüler regelmäßig mit seinem Wandgemälde »Das Abendmahl« auseinandersetzen. Doch der christlichen Deutung dieses Werks widerspricht Reinhardt. Das Geschehen auf dem Gemälde sei ein irdisches Drama von Verrat und Treue, in dem die damals üblichen Heiligenscheine fehlten. Auf dem Bild »Anna selbdritt« wiederum, das in den letzten Jahren vor da Vincis Tod 1519 entstand, bricht das Jesuskind gerade einem Lamm das Genick, was Mutter und Großmutter nicht zu stören scheint.

Nicht der zuverlässigste Künstler

Um von gängigen da-Vinci-Interpretationen Abstand zu gewinnen, versteht ihn Reinhardt vor allem aus seiner Zeit heraus. Leonardo wurde 1452 in Vinci bei Florenz als uneheliches Kind eines Notars geboren, von dem er eine handwerkliche Ausbildung vermittelt bekam. Er betrieb später eine eigene Malwerkstatt; seine Bilder machten ihn weltberühmt. Wenig bekannt allerdings ist, dass er viele Aufträge nicht zu Ende brachte oder sie in schlechter Qualität ausführte. »Das Abendmahl« etwa verlor schon nach wenigen Jahrzehnten die Farbe.

In Florenz, Mailand, Rom und Frankreich diente Leonardo auch als Bildhauer, Organisator von Festen und architektonisch-technischer Planer diversen Herren, ohne sich selbst in die Politik einzumischen. Als Homosexueller wurde er angefeindet, als Kriegshasser und Vegetarier blieb er Außenseiter. Laut Reinhardt lässt er sich daher nicht als typischer Renaissance-Künstler bezeichnen. Vom zeitgenössischen Humanismus trennte ihn seine mangelhafte Bildung; er beherrschte beispielsweise kein höheres Latein. Auch begriff er den Menschen entgegen dem Zeitgeist nicht als Krone der Schöpfung, sondern als Teil der Natur. Da Vinci war überzeugt, die ethisch-humanistischen ebenso wie die alchemistischen Bemühungen seiner Zeit, die Natur zu beherrschen, würden scheitern. Der Mensch, glaube er, würde aus der Natur irgendwann verschwinden.

Obwohl Leonardo intensive Naturforschungen betrieb und unzählige Zeichnungen anfertigte, kann man ihn Reinhard zufolge nicht als Wegbereiter der modernen Naturwissenschaften betrachten. Die Mathematik habe er nur als Zählwerkzeug benutzt, aber es sei ihm nicht um mathematische Gesetzmäßigkeiten gegangen. Und wenn er sich technische Geräte ausdachte und zeichnete, sei ihm nicht an möglichen Anwendungen gelegen gewesen, sondern er habe verstehen wollen, wie der Mensch in die Natur eingebunden sei, wenn er sich beispielsweise mit einer Art Hubschrauber aus eigener Kraft über sie erheben wolle. Da Vinci suchte dabei nicht nach inneren Zusammenhängen, sondern betrachtete nur die äußere Erscheinung.

Das hatte natürlich viel mit Malerei zu tun, über die da Vinci eine fleißig rezipierte Theorie entwickelte. Er versuchte, sehr genaue Zeichnungen und Bilder zu schaffen, glaubte er doch, dass die Malerei die Natur exakt wiedergeben solle. Sie sei dadurch jeder Form von Sprache überlegen – eine These, die die heutigen medialen Bilder zu bestätigen scheinen. Reinhard stellt fest: »So ist nüchtern zu bilanzieren, dass Leonardo da Vinci nach einem halben Jahrtausend den Kampf gegen die 'Poeten' (...) gewonnen hat.«

Die Biografie ist anschaulich, lebendig und überzeugt mit guten Argumenten. Sie geht über Leonardo und seine Zeit hinaus, wenn sie sich beispielsweise damit befasst, wie der Maler Marcel Duchamp 1919 der Mona Lisa einen Bart verpasste.

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