Buchkritik zu »Lexikon der Liebesmittel«
Was ist ein Aphrodisiakum? Alles, was die jeweilige Kultur dafür hält. Auf diese karge Definition müssen sich die Ethnologen Christian Rätsch und Claudia Müller-Ebeling in der Einleitung ihres Monumentalwerks zurückziehen. Denn es kommt auf die subjektive Wahrnehmung an: Ein Aphrodisiakum kann wirken, wenn man an seine Wirksamkeit glaubt – unabhängig von seiner stofflichen Zusammensetzung. Viagra ist in dieser Hinsicht eher untypisch.
Die Wirkung von Aphrodisiaka (so sie denn eine haben) lässt sich neurophysiologisch, psychologisch oder auch ethnologisch erklären; in jedem Fall sind "Dosis, Set und Setting" zu beachten, also die Menge des Mittels, die Stimmungslage und die unmittelbare Umgebung bei der Anwendung. "Je weniger man oder frau ein Aphrodisiakum benötigt, desto besser wirkt es", stellen die Autoren ironisch fest.
Dass die Liebesmittel bei uns mit gesellschaftlichen Tabus belastet sind, hängt nicht nur mit Macho-Ängsten zusammen – wenn man ihren Gebrauch zugibt, könnte Mann ja als Schlappschwanz dastehen –, sondern hat tiefere kulturelle Ursachen. Mit der Christianisierung des Abendlandes wurden nicht nur die alten Göttinnen dämonisiert, sondern auch die ihnen zugeordneten Mittel der Lusterregung und die Erotik allgemein. Zwei ausführliche Abschnitte über das Zusammenwirken der fünf Sinne beim Gebrauch der Liebesmittel und über deren Rezeption in der Kunstgeschichte beschließen den einleitenden Teil.
Das eigentliche Lexikon umfasst knapp 700 Seiten, gefolgt von einem Anhang mit ausführlicher Bibliografie und einem Index. Die Artikel sind übersichtlich aufgebaut – eine kurze Zusammenfassung am Anfang ist durch blaue Schrift abgesetzt – und werden in der Randspalte bereichert durch Literaturzitate, Abbildungen und gelegentlich auch chemische Strukturformeln. Zahlreiche Literaturhinweise und Fußnoten verweisen den Wissbegierigen auf weitere Quellen.
Nehmen wir als Stichprobe den etwa zweieinhalbseitigen Artikel über den Absinth, der in letzter Zeit wieder etwas in Mode zu kommen scheint. Zunächst werden andere Bezeichnungen genannt, etwa "die grüne Fee"; der kurzen Zusammenfassung in Blaudruck entnimmt man, dass Maler und Dichter im 19. Jahrhundert den Absinth als Inspirations- und Liebesmittel feierten. Es folgen Fakten über die Zusammensetzung des Getränks, die Art und Weise des Genusses und seine Wirkung, die als "deutlich stärker, visionärer und deliranter" als sonstige alkoholische Getränke beschrieben wird. Hier wünscht man sich etwas genauere und ausführlichere Angaben. Der "eigentliche" Absinth ist seit den frühen 1920er Jahren wegen der gesundheitsschädlichen Wirkungen des darin enthaltenen -Thujons in den meisten europäischen Ländern verboten. Die heute legalen Absinthgetränke enthalten kaum noch Thujon – und bieten auch dessen Wirkung nicht mehr.
Der Artikel nennt die zahlreichen Maler und Literaten, die den "echten" Absinth priesen, erläutert die Rolle des Getränks in dem Film "Dracula" von Francis Ford Coppola und erzählt, dass ein Franzose namens Pernod 1797 in der Schweiz den ersten Absinth braute. Er gibt auch Rezepte zum Selbstbrauen an und weist darauf hin, dass stark thujonhaltiger Absinth in Tschechien und Slowenien legal hergestellt und verkauft wird. In diesem Zusammenhang fehlt eine deutliche Warnung: Die schädlichen Wirkungen des Thujons gehen weit über den üblen Kater am nächsten Tag hinaus.
Die Frage, ob Absinth bzw. Thujon physiologisch gesehen ein Aphrodisiakum ist oder nicht, bleibt unbeantwortet. Der Artikel schließt wie alle anderen mit Hinweisen auf Bezugsquellen (bei illegalen Substanzen auf die Rechtslage) und Literaturangaben.
Der sechsseitige Stichworttext "Alraune" führt auf das Gebiet der Hexenkräuter, in dem sich die Autoren mehrfach als ausgezeichnete Kenner erwiesen haben. Schon im Alten Testament wird die "Königin der Zauberkräuter" als Aphrodisiakum erwähnt. Alraunehaltiges Bier besänftigte den Zorn der altägyptischen Göttin Sachmet/Hathor, und möglicherweise geht der griechische Aphroditenkult auf orientalische Vorstellungen von der Alraune zurück. Die Verfasser zählen penibel die zahlreichen Inhaltsstoffe der Wurzeln, Blätter und Früchte auf, geben ein Rezept zur Fabrikation eines "Mandragorenweins" an und verschweigen nicht ihre eigenen – eher gemischten – Erlebnisse nach dessen Konsum.
Drei knappe Stichwörter behandeln "Liebesdrogen", "Liebestränke" und "Liebeszauber". Während die Liebesdrogen (etwa die als Ecstasy oder MDMA bekannte Partydroge) nichts anderes sind als Derivate des Phenylethylamins, sind die Liebestränke nicht so einfach zu bestimmen. Der garantiert wirkende Trank, der in einem Menschen die Liebe zu einem anderen entzündet (bekanntestes Beispiel sind Tristan und Isolde), ist eine Fiktion, auch wenn es dazu unzählige Rezepte gibt und auch kommerziell erhältliche Präparate. Der Liebeszauber schließlich ist ein rein magisches Ritual ohne pharmakologisch wirksame Substanzen. Heute noch vielfach praktiziert werden Voodoo auf Haiti und Candomblé in Brasilien.
Auch bei flüchtigem Durchblättern liest man sich schnell fest. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Nacktschnecken als Aphrodisiakum gelten (in China) oder dass in Südamerika eine Pflanze mit dem schönen Namen "Justizia" zur Erregung der Lust gebraucht wird?
Das Buch enthält eine Fülle von Informationen, nicht nur zur Pharmakologie und Physiologie, sondern auch zur Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte der Aphrodisiaka. Damit reicht es weit über den Rang eines simplen Nachschlagewerks für Lüstlinge hinaus und zeichnet ein detailliertes und insgesamt auch zuverlässiges Bild von einem weithin tabuisierten, aber wesentlichen Bestandteil menschlichen Lebens und Handelns.
Die Wirkung von Aphrodisiaka (so sie denn eine haben) lässt sich neurophysiologisch, psychologisch oder auch ethnologisch erklären; in jedem Fall sind "Dosis, Set und Setting" zu beachten, also die Menge des Mittels, die Stimmungslage und die unmittelbare Umgebung bei der Anwendung. "Je weniger man oder frau ein Aphrodisiakum benötigt, desto besser wirkt es", stellen die Autoren ironisch fest.
Dass die Liebesmittel bei uns mit gesellschaftlichen Tabus belastet sind, hängt nicht nur mit Macho-Ängsten zusammen – wenn man ihren Gebrauch zugibt, könnte Mann ja als Schlappschwanz dastehen –, sondern hat tiefere kulturelle Ursachen. Mit der Christianisierung des Abendlandes wurden nicht nur die alten Göttinnen dämonisiert, sondern auch die ihnen zugeordneten Mittel der Lusterregung und die Erotik allgemein. Zwei ausführliche Abschnitte über das Zusammenwirken der fünf Sinne beim Gebrauch der Liebesmittel und über deren Rezeption in der Kunstgeschichte beschließen den einleitenden Teil.
Das eigentliche Lexikon umfasst knapp 700 Seiten, gefolgt von einem Anhang mit ausführlicher Bibliografie und einem Index. Die Artikel sind übersichtlich aufgebaut – eine kurze Zusammenfassung am Anfang ist durch blaue Schrift abgesetzt – und werden in der Randspalte bereichert durch Literaturzitate, Abbildungen und gelegentlich auch chemische Strukturformeln. Zahlreiche Literaturhinweise und Fußnoten verweisen den Wissbegierigen auf weitere Quellen.
Nehmen wir als Stichprobe den etwa zweieinhalbseitigen Artikel über den Absinth, der in letzter Zeit wieder etwas in Mode zu kommen scheint. Zunächst werden andere Bezeichnungen genannt, etwa "die grüne Fee"; der kurzen Zusammenfassung in Blaudruck entnimmt man, dass Maler und Dichter im 19. Jahrhundert den Absinth als Inspirations- und Liebesmittel feierten. Es folgen Fakten über die Zusammensetzung des Getränks, die Art und Weise des Genusses und seine Wirkung, die als "deutlich stärker, visionärer und deliranter" als sonstige alkoholische Getränke beschrieben wird. Hier wünscht man sich etwas genauere und ausführlichere Angaben. Der "eigentliche" Absinth ist seit den frühen 1920er Jahren wegen der gesundheitsschädlichen Wirkungen des darin enthaltenen -Thujons in den meisten europäischen Ländern verboten. Die heute legalen Absinthgetränke enthalten kaum noch Thujon – und bieten auch dessen Wirkung nicht mehr.
Der Artikel nennt die zahlreichen Maler und Literaten, die den "echten" Absinth priesen, erläutert die Rolle des Getränks in dem Film "Dracula" von Francis Ford Coppola und erzählt, dass ein Franzose namens Pernod 1797 in der Schweiz den ersten Absinth braute. Er gibt auch Rezepte zum Selbstbrauen an und weist darauf hin, dass stark thujonhaltiger Absinth in Tschechien und Slowenien legal hergestellt und verkauft wird. In diesem Zusammenhang fehlt eine deutliche Warnung: Die schädlichen Wirkungen des Thujons gehen weit über den üblen Kater am nächsten Tag hinaus.
Die Frage, ob Absinth bzw. Thujon physiologisch gesehen ein Aphrodisiakum ist oder nicht, bleibt unbeantwortet. Der Artikel schließt wie alle anderen mit Hinweisen auf Bezugsquellen (bei illegalen Substanzen auf die Rechtslage) und Literaturangaben.
Der sechsseitige Stichworttext "Alraune" führt auf das Gebiet der Hexenkräuter, in dem sich die Autoren mehrfach als ausgezeichnete Kenner erwiesen haben. Schon im Alten Testament wird die "Königin der Zauberkräuter" als Aphrodisiakum erwähnt. Alraunehaltiges Bier besänftigte den Zorn der altägyptischen Göttin Sachmet/Hathor, und möglicherweise geht der griechische Aphroditenkult auf orientalische Vorstellungen von der Alraune zurück. Die Verfasser zählen penibel die zahlreichen Inhaltsstoffe der Wurzeln, Blätter und Früchte auf, geben ein Rezept zur Fabrikation eines "Mandragorenweins" an und verschweigen nicht ihre eigenen – eher gemischten – Erlebnisse nach dessen Konsum.
Drei knappe Stichwörter behandeln "Liebesdrogen", "Liebestränke" und "Liebeszauber". Während die Liebesdrogen (etwa die als Ecstasy oder MDMA bekannte Partydroge) nichts anderes sind als Derivate des Phenylethylamins, sind die Liebestränke nicht so einfach zu bestimmen. Der garantiert wirkende Trank, der in einem Menschen die Liebe zu einem anderen entzündet (bekanntestes Beispiel sind Tristan und Isolde), ist eine Fiktion, auch wenn es dazu unzählige Rezepte gibt und auch kommerziell erhältliche Präparate. Der Liebeszauber schließlich ist ein rein magisches Ritual ohne pharmakologisch wirksame Substanzen. Heute noch vielfach praktiziert werden Voodoo auf Haiti und Candomblé in Brasilien.
Auch bei flüchtigem Durchblättern liest man sich schnell fest. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Nacktschnecken als Aphrodisiakum gelten (in China) oder dass in Südamerika eine Pflanze mit dem schönen Namen "Justizia" zur Erregung der Lust gebraucht wird?
Das Buch enthält eine Fülle von Informationen, nicht nur zur Pharmakologie und Physiologie, sondern auch zur Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte der Aphrodisiaka. Damit reicht es weit über den Rang eines simplen Nachschlagewerks für Lüstlinge hinaus und zeichnet ein detailliertes und insgesamt auch zuverlässiges Bild von einem weithin tabuisierten, aber wesentlichen Bestandteil menschlichen Lebens und Handelns.
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