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»Licht und Farbe in Natur und Alltag«: Ich sehe was, was du nicht siehst

Farben und Formen zu sehen, ist für die meisten von uns selbstverständlich. Trivial ist es aus physikalischer Sicht aber keineswegs, wie Hans Joachim Schlichting zeigt.

Der Physiker Hans Joachim Schlichting war Direktor des Instituts für Didaktik der Physik an der Universität Münster. Er hat bereits in vielen populärwissenschaftlichen Büchern physikalische Phänomene des Alltags erklärt. Der vorliegende Band beschäftigt sich nun mit optischen Besonderheiten, denen der Autor auf gut 500 Seiten und in etwa 360 meist farbigen Abbildungen auf den Grund geht.

Als »Augentiere« nehmen wir unsere Umwelt in erster Linie visuell wahr. Dabei ergeben sich viele überraschende Seheindrücke, die wir oft gar nicht bemerken oder uns erklären können. Dies reicht von relativ einfachen Erscheinungen wie dem Blau des Himmels oder von Augen über Spiegelungen auf glatten Oberflächen und unvermutet auftretende Farben bis hin zu optischen Täuschungen.

Das Buch besteht aus sieben Teilen, die sich beispielsweise den optischen Effekten in Verbindung mit der »Sonne«, »Fenstern« oder »Wasser und Licht« widmen; und es geht um »Schatten«, »Regenbögen« sowie »Optische Täuschungen«. So erkundet Schlichting jeweils auf wenigen Seiten visuelle Phänomene des Alltags, die er ohne Formeln physikalisch beschreibt und erklärt. Durch die vielen anschaulichen Illustrationen erfährt und erlebt der Leser die Besonderheiten seiner visuellen Wahrnehmung.

Anhand einfacher Beispiele illustriert der Autor, dass wir viele Seheindrücke automatisch aufnehmen, ohne über sie nachzudenken. So dürfte es die meisten überraschen, dass das uns allen vertraute Tageslicht auf sehr komplexen Wechselwirkungen des von der Sonne ausgestrahlten Lichts mit der Atmosphäre beruht. Denn es stellt eine Art indirekter Beleuchtung dar, die verhindert, dass es dunkel wird, wenn die Sonne hinter Wolken oder anderen Hindernissen verschwindet. Unser Sehen wird dadurch beeinflusst, dass das Sonnenlicht reflektiert, absorbiert und gebrochen wird. Diese Prozesse sind im Detail überaus kompliziert, aber anhand der Erklärungen des Autors nachvollziehbar.

Auch die Wechselwirkung von Wasser und Licht ist vielschichtiger als meist vermutet. Die Frage, ob Wasser eine Farbe hat, würde »jemand, der sich gerade am Meer aufhält, vermutlich anders beantworten als jemand, der ein Glas Wasser trinkt«. Dieses Beispiel illustriert, dass die wahrgenommene »Farbe des Wassers einerseits nicht unabhängig von der Größe des jeweiligen Wasserkörpers beurteilt werden kann, und andererseits zu fragen ist, ob die jeweilige Farbe des Wassers nur eine Widerspiegelung der Farbe anderer Medien, z. B. des Himmels darstellt«.

Der Augenschein trügt

Andere Themenbereiche, die erklärt werden, sind etwa »Schatten«, »Spiegelung« oder »Farben«. Auch sie sind aus physikalischer Sicht nicht ganz einfach, werden aber anschaulich illustriert. Im abschließenden Teil geht es dann um optische Täuschungen. Der Autor rät, »eine kritische Distanz zur eigenen Wahrnehmung einzunehmen«. Dabei beschreibt er, wie man in einem stehenden »Zug sitzend vermeint, der Nachbarzug setze sich in Bewegung, ehe man bemerkt, dass es der eigene ist«. Aus solchen Beobachtungen schließt Schlichting, dass Täuschungen dazu beitragen, »eigene Beobachtungen – und seien sie noch so überzeugend – zu hinterfragen und zu lernen, sie gegebenenfalls mit widersprechenden Beobachtungen zu konfrontieren«. Dies gilt natürlich nicht nur für das Sehen, sondern für all unsere Sinne.

Einige der Kapitel und Illustrationen sind aus einem früheren Buch des Autors übernommen (»Wenn der Pool ins Schwimmen gerät«, Primus Verlag 2012) – ein Hinweis darauf wäre für die Leser sicher eine interessante Information gewesen. Ungewöhnlich ist, dass es zu keiner der vielen Abbildungen irgendeine Quellenangabe gibt; zumindest bei bereits publizierten Illustrationen wäre ein solcher Hinweis angebracht gewesen.

Insgesamt handelt es sich um ein lesenswertes Buch, das komplexe Zusammenhänge verständlich macht und in dem man auch gern blättert, um einzelne Themen herauszugreifen. Die Erklärungen sind aus physikalischer Sicht gelungen. Dennoch ist der Laie gut beraten, sich erst einmal mit der Optik und auch den physiologischen Grundlagen des Sehens zu beschäftigen; denn alles, was wir wahrnehmen, entsteht letztlich durch die Verarbeitung im Gehirn. Wer dies berücksichtigt, dem bietet der vorliegende Titel viele Erkenntnisse und ein grundlegendes Verständnis für visuelle Phänomene in Natur und Alltag.

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